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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Küssen, er küsste sich über ihre Stirn und ihre Augen bis zu ihren Lippen zurück.
    «Nimm mich mit», sagte sie.
    Hektors Wohnung lag ganz in der Nähe, nur ein Stück das Flussufer entlang und einmal um die Ecke in die Kanalstraße hinein. Diesmal gingen sie schnell, nicht mehr wie zwei Menschen, die zusammen trödeln wollen, die den schmerzlichen Abschied hinauszögern wollen, sondern wie zwei, die einem langersehnten, langerträumten Ziel entgegeneilen. Die Bäume am Ufer des schwarzen Kanals reckten ihre nackten Arme gen Himmel. Auf den Astgabeln hatte sich Schnee gesammelt. Schon bedeckte Schnee die Pflastersteine vor den Mietskasernen, er hatte sich auf das rostige Geländer gelegt, das den Gehweg vom Wasser trennte, und Kaskaden aus weichen Flocken ließen die Straßenlaternen funkeln wie die Glitzerkugel, die im Kaiserinnen-Ballsaal in der Ampersandallee unter der Decke hängt.
    Früher waren Agathe und Stopak dort tanzen gegangen, und eine Sekunde lang hatte sie das Bild eines prächtigen Mannes in einem blauen Anzug vor sich, der sie lächelnd umarmt. Sie verjagte es sofort. «Komm», sagte sie und drückte sich noch dichter an Hektor. «Ist es noch weit?»
    «Wir sind schon da. Die grüne Tür. Nummer 15.   Gleich wird dir warm.»
    Wieder presste Agathe ihren Mund auf seinen. Hektor roch nach Zigaretten. «Mir ist warm. Mir ist warm. Nur mein Gesicht ist kalt.»
    «Das glaube ich dir.» Er packte sie und küsste sie minutenlang und ließ seine Hände über ihren Körper wandern, um ihre Kurven abzutasten und sich an ihnen zu ergötzen. Selbst durch den dicken Mantel hindurch fühlte sie sich wunderbar an, und der Duft ihres Parfums benebelte ihn. Die Küsserei ging weiter, und seine Hände wurden immer ungeduldiger, bis Agathe dicht an ihm klebte und aus tiefster Brust stöhnte. Ihr Mantel rutschte ihr über die Hüfte, ihr Rock wollte folgen und rutschte über ihre Schenkel hinauf.
    Da machte Agathe sich los. «Nein. Nicht hier. Nicht auf der Straße. Lass uns hineingehen. Nun mach schon, um Gottes willen.»
    Hektor klopfte seine Manteltaschen ab, auf der Suche nach dem Haustürschlüssel.
    «Beeil dich! Beeil dich!» Hinter ihm trat Agathe von einem Fuß auf den anderen und vollführte ein kleines Tänzchen.
    Hektor musste jede Tasche zweimal durchsuchen – die Hosentaschen, die Manteltaschen, die Innentasche seines Jacketts   –, bis er den Schlüssel schließlich fand, eingeklemmt zwischen dem Skizzenheft und der Omar-Khayyam-Ausgabe. Die Bücher beulten den Stoff seiner Hose aus, während er herumwühlte. «Halt das mal», sagte er zu Agathe, drückte sie ihr in die Hand und beugte sich zum Schlüsselloch hinunter. «Ich kann gar nichts sehen.» Seine Hände zitterten. «Mir ist so kalt.» Auch seine Stimme zitterte.
    Endlich schwang die Tür auf, und Hektor drehte sich um, um Agathe willkommen zu heißen; sie aber stürzte an ihm vorbei, aus dem Schnee heraus und hinein in die dunkle Wohnung.Ihre Hand streifte seine. «Zeig mir den Weg», sagte sie. Ihren Mantel hatte sie schon ausgezogen.
    Ist es wirklich erforderlich zu beschreiben, was als Nächstes passierte? Braucht diese Geschichte solche Details, ist eine Auflistung allen Seufzens und Wimmerns und Stöhnens nötig? «Zeig mir den Weg», hatte Agathe gesagt. Aber das war es nicht, was Hektor tat. Hektor zeigte ihr nicht den Weg. Er erinnerte sie bloß daran.
    Agathe nahm alles, was er zu geben hatte, auf wie ein Schwamm, der den ganzen Sommer lang auf dem Badezimmerregal getrocknet ist und der sich, sobald er sich im Wasser wiederfindet, ganz vollsaugt, der weich wird und anschwillt und auch noch den letzten Tropfen trinkt, nur, um alles bereitwillig wieder abzugeben. So war Agathe. Hektor erinnerte sie daran, wie es war, so zu sein. Hektor erinnerte sie daran, dass sie es eigentlich nie vergessen hatte.
    Den ganzen Nachmittag liebten sie sich in dem alten Bett mit Messinggestell, das in einer Ecke von Hektors Zimmer stand, und als sie zu müde waren, sich noch einmal zu lieben, stand Hektor auf und holte eine Flasche Wodka aus dem Schrank unter der Spüle. Sie schimmerte blau im Schneelicht, das durchs Fenster fiel. Sie nippten am Wodka, zogen sich die Laken bis ans Kinn und redeten, bis es dunkel wurde. Und dann liebten sie sich wieder.
    Um Mitternacht, als der gute Tibo Krovic längst schlief, ganz allein in seinem Haus am Ende des blaugekachelten Pfades, und als Stopak mit dem Gesicht nach unten neben einer leeren Bierkiste auf dem

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