Die Liebesluege
Abschluss aus schwarzer Spitze.
Langsam hob Swetlana den Strumpf an und schob die Hand bis zu einem kleinen rechteckigen Stück Papier.
»Ein Spickzettel?«, wisperte Charly. »Wie altmodisch.«
So leise sie es auch gesagt hatte - Monsieur Grandjean hatte sie gehört. »In der Tat«, bestätigte er kalt. »Unzeitgemäß, dumm und kontraproduktiv. Und so betagt, wie ich leider schon bin, finde ich das Versteck nicht mal sexy. Swetlana, du hast mich enttäuscht.«
Mit spitzen Fingern griff er nach dem Zettel, klappte Lanas Heft zu, trug beides zu seinem Tisch, schaute auf die Armbanduhr und notierte die Zeit. »Ihr habt euch hoffentlich nicht stören lassen. Arbeitet weiter.« Er wandte sich an Swetlana. »Ich habe nichts dagegen, wenn du dir draußen Gedanken über deine unnötige Sechs machst. Du findest die Tür, nehme ich an.«
Gerade als Elena ihre Bücher und Hefte ins Zimmer trug, hörte sie ihr Handy. Eine SMS!
MUSS DICH DOCH SCHON HEUTE UNBEDINGT TREFFEN, LEIDER KLAPPT DER KOMMENDE SONNTAG NICHT. BANK AM TRACHYCARPUS FORTUNEI. 15 UHR. STEFAN
Heute? Stefan musste über ihren Stundenplan und die Gepflogenheiten von Villa Rosa gut Bescheid wissen, dachte sie und legte das Handy in die Schublade. Sie würde Charly nichts von der SMS sagen. Aber was war mit Max?
Elena warf den Kopf zurück. Sie würde Stefan treffen. Nur ein einziges Mal.
Nach dem Mittagessen erledigte sie rasch und konzentriert die Hausaufgaben, dann nahm sie eine Jacke aus dem Schrank und verließ, wieder ohne Charly ein Sterbenswörtchen zu verraten, das Zimmer, rannte die Treppe hinunter und hoffte, unbemerkt aus dem Haus schlüpfen zu können. Aber verdammt! Max pinnte gerade eine Nachricht ans Schwarze Brett. »Bin gleich wieder da!«, stieß sie hastig hervor. »Muss nur was besorgen!«
»Aber hallo! Elena, was hast du vor? Warte -!«
Weg war sie - Max würde sich natürlich wundern; aber daran war nun auch nichts zu ändern. Natürlich meldete sich ihr Gewissen. Sie hinterging ihn, und auch Charly hätte das Recht, zu wissen, was sie vorhatte.
Und doch … Wer durfte es ihr verübeln, wenn sie eine weitere Erfahrung sammeln wollte? Hatte sie nicht viel zu lange auf eine solche Gelegenheit gewartet? Hatte sie nicht fast siebzehn Jahre auf einen Freund hingefiebert? Trotzig schlüpfte sie durch die kleine Pforte, eilte die Straße entlang und die Staffel hinunter.
Erst auf der Seepromenade verlangsamte sie ihre Schritte; es machte keinen guten Eindruck, wenn sie zum Date verschwitzt ankam! Sie kämmte die Haare, zog die Lippen nach, und dann … dann pirschte sie sich weiter. Wenn er jetzt nicht allein wäre, nicht auf der Bank sitzen würde - das würde sie nicht ertragen, die Enttäuschung wäre einfach zu groß, sagte sie sich - aber da saß er! Da! Allein auf der Bank.
Sie zögerte; plötzlich bekam sie weiche Knie und fühlte, wie sie der Mut verließ. Aber er hatte sie gesehen! Er stand auf! Er ging ihr entgegen!
»Wie schön, dass wir uns endlich treffen, Elena!«
Er zog sie neben sich und führte ihre Hand an seine Lippen. »Elena …Was für ein wunderschöner Name.« Er küsste jeden ihrer Fingerspitzen. Elena überlief es heiß und kalt. Wie seine Augen strahlten. Wie intensiv das Blau war. Wie gepflegt er war, wie selbstsicher … Sie hielt den Atem an.
»Ich habe mich so nach dir gesehnt«, sagte er leise. »Schon bei unserem ersten Treffen in der Bar wusste ich, dass ich dich wiedersehen muss.«
Elena stutzte. »Es war beim Optiker.«
»O!« Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Da siehst du, wie aufgeregt ich bin! Natürlich - es war beim Optiker. Ich habe meine Sonnenbrille abgeholt. Sie musste repariert werden.«
Elena stand die Szene genau vor Augen. »Sie haben eine neue Sonnenbrille gekauft.«
»Sag Du zu mir«, bat er.
Sie schwieg. Wie sehr hatte sie das Treffen herbeigesehnt. Wie auserwählt hatte sie sich gefühlt, wie besonders! Und nun - nun hatte er schon zwei Mal etwas Falsches behauptet. Sie dagegen hatte nichts vergessen, sie erinnerte sich an jede seiner Handbewegungen, an die kleinste Kleinigkeit.
Sie hob den Kopf. »Woher haben Sie meine Handynummer?«
»Ich habe natürlich die Sekretärin von Villa Rosa angerufen und sie gebeten -«
»Aber nein! Sie haben meine Nummer beim Optiker erfahren.«
»Richtig! Der Optiker! Ich … nun, ich sagte eurer Sekretärin,
du hättest beim Optiker deine Jacke vergessen, ich hätte sie mitgenommen und wolle sie dir bringen.« Er
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