Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
davon und flogen durch den blassen Himmel. Sie hatten keinen Grund zu der Annahme, dass die beiden Wölfe, die auf sie zu rannten, alles andere als echt waren.
Verdammt, sie hatte sich wieder zu Boden geworfen, und Gair verlor ihre Spur. Er sah sich um, bemerkte aber keine Anzeichen von Aysha. Der Wind kräuselte das Gras, das dicht genug war, um ein ganzes Wolfsrudel zu verstecken, aber es bewegte sich nichts darin. Seine Ohren verrieten ihm, dass in der Nähe ein Bach floss, und Sperlinge zwitscherten über ihm, aber das war auch schon alles. Er hob die Schnauze und schnüffelte nach dem Geruch der Wölfin, fand aber nichts. Also musste sie sich in windabgewandter Richtung befinden. Er wurde langsamer und hielt auf den niedrigeren Hang zu, als eine pelzige Gestalt plötzlich unter einem Wacholderbusch hervorbrach.
Hab dich!
Sie rammte seine Schulter mit der Brust und warf ihn um. Instinktiv drehte er sich und wollte sie packen, aber sie hatte bereits sein Nackenfell zwischen den Zähnen, und beide rollten den Hang in einem Gewirr von Gliedmaßen herunter. Die Klauen griffen nach Halt, die Körper wanden und reckten sich, weil jeder der Obere sein wollte, wenn das Herumrollen endete. Als er schließlich wieder auf den Beinen stand und sie abgeschüttelt hatte, senkte sie das Kinn auf die Pfoten, bis er sich entspannt hatte. Dann schoss sie wie der Blitz davon und jaulte vor Übermut.
Gair sprang hinter ihr her. Das hatte er gebraucht. Nach so vielen Tagen in den Unterrichtsräumen und auf dem Übungshof war es gut, ein wenig zu spielen. Ayshas Begeisterung war ansteckend, und sie rannten unermüdlich herum, sprangen den jeweils anderen aus jeder Deckung an, die das Gelände bot, sprangen über Büsche und von Felsen hinunter, prallten gegeneinander, kämpften und freuten sich an der Wendigkeit ihrer geborgten Körper.
Weiter unten am Hang wurde die Wiese breiter, wo sie sich dem Fluss näherte. Hier war der Wind stärker, kälter und kündete von dem kommenden Winter. Gair bemerkte es kaum durch sein dickes Fell, während sie durch das Gras tollten. Alles, was er spürte, war die Aufregung der Jagd: den heißen Atem, die starken Muskeln, die sich zum Sprung spannten, die mächtigen Kiefer, die bereit waren, alles zu ergreifen und zu unterwerfen. Aysha war in dieser Gestalt mehr zu Hause als er; es bedurfte seines ganzen Gewichts, um sie schließlich zu Boden zu zwingen.
Aysha aber wand sich und wehrte sich. Gair konnte sie nicht festhalten, und noch bevor er Luft geholt hatte, hatte sie ihn auf den Rücken geworfen und hielt ihn am Boden fest. Ihr Wolfsgesicht grinste auf ihn herunter.
Ich habe gewonnen!
Ihre lachenden Bernsteinaugen wurden wieder blau, als sie den Sang losließ und sich ihr Körper zu seiner ursprünglichen Gestalt streckte. Gair machte es ihr sofort nach. Er war nur eine oder zwei Sekunden später als sie, aber das reichte ihr völlig aus, um ihm einen dicken Kuss auf den Mund zu geben, sich abermals zu verwandeln und mit hocherhobenem Schwanz davonzurennen.
Fang mich, wenn du kannst!
Gair betrachtete das Schachbrett vor sich. Er würde mehr als Glück brauchen, um dieses Spiel zu überleben. Eine erschreckend hohe Anzahl seiner Figuren stand auf Darrins Seite des Tischs. Es war Gair zwar gelungen, in den letzten Partien ein wenig Boden wettzumachen, denn er hatte einige Spiele gewonnen und in anderen ein Patt herbeiführen können, aber der Belisthaner lag noch immer vorn, was die Gesamtzahl der Siege anging. Wegen seines kühnen, stürmischen Stils unterlag er manchmal Gairs Geduld, aber heute Abend beherrschte er das Spiel vollkommen.
»Ich glaube, ich muss aufgeben«, sagte Gair.
»Noch nicht.«
»Was meinst du damit? Du hast mich in die Enge getrieben. Wenn ich auch nur eine einzige Figur bewege, stürzt du dich auf meine Königin, und dann bin ich in zwei Zügen schachmatt.«
Darrin kippelte mit seinem Stuhl, und ein Grinsen teilte sein Gesicht wie eine Honigmelone. »Es gibt noch einen Ausweg für dich.«
»Der einzige Ausweg ist ein Wunder.«
»Vertraue mir, mein Freund, es gibt einen Ausweg aus diesem Hundefrühstück, das du aus deinem Spiel gemacht hast. Wenn du ihn findest, kannst du dieses Zimmer mit hocherhobenem Kopf und unangetasteter Ehre verlassen. Du musst nur ein bisschen dafür arbeiten.«
»Selbstgefälligkeit ist unschicklich.«
Gair verschränkte die Arme auf dem Tisch, stützte das Kinn in die Hände und sah das Schachbrett stirnrunzelnd an. Der rechte
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