Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Zunder hatte, aber er glaubte inzwischen zu wissen, wie es funktionierte. Nach einigem vorsichtigen Üben auf der Kielkätzchen hatte er verlässliche Flammen hervorrufen können; das hier war nur eine Sache der Größe. Behutsam rief er das Feuer in das Holz. Zuerst geschah nichts, doch dann stieg Rauch aus dem Stamm auf. Gair zog noch ein wenig mehr Kraft aus dem Sang heraus, und eine goldene Zunge leckte über die Splitter, die von der Säge übrig gelassen worden waren. Eine weitere erschien. Sie wurde größer. Von seinem Willen angefacht, lief das Feuer am ganzen Stamm entlang und sprang dann himmelwärts. Saftblasen zischten und platzten.
Die Spannung in der Luft nahm zu. Die Flammen auf dem Baumstamm wurden zu einem bläulichen Glimmen und verschwanden fast vollständig. Gair konzentrierte sich noch stärker. Neue Flammen loderten auf, und Godril erstickte sie abermals. Gair stellte sich breitbeinig hin und griff noch entschiedener nach dem Sang.
Diesmal hatte sein Feuer Mühe, Fuß zu fassen. Es bestand mehr aus Rauch als aus Hitze, trieb auf ihn zu und kitzelte in seinem Hals. Gair ließ die Musik lauter in seinem Kopf erschallen. Sie schrillte an allen Nerven entlang, prickelte, sang, und köstliche Wärme breitete sich in ihm aus, und doch waren die Flammen kaum größer als die von Streichhölzern. Er öffnete sich weiter, noch weiter, suchte keinen Brennpunkt mehr, sondern wollte das Feuer nur noch unter Kontrolle halten. Die Hitze war schmerzhaft. Es war, als stünde er in der Wüstensonne, und seine Haut wurde versengt. Noch ein paar Augenblicke, und er würde aufgeben müssen.
Mit einem Knall wie vom Korken einer der Weinflaschen der Göttin höchstpersönlich platzte der Stamm der Länge nach auf. Brennende Bruchstücke wirbelten über den Hof und flogen in alle Richtungen. Jemand fluchte, und die dunklere der beiden Frauen lachte laut auf. Die andere sah die glühenden Splitter finster an und löschte einen nach dem anderen.
»Du hast noch nie gewusst, wann du aufhören musst, Godril.« Die Stimme der Wüstenfrau war trotz ihres kriegerischen Aussehens kehlig und sinnlich und hatte einen Akzent, den Gair nicht einordnen konnte. Sie hatte eine rauchige Qualität, die in ihm ein Prickeln verursachte; es war, als würde eine Feder in seinem Hemd stecken.
»Genug, Aysha. Jetzt ist nicht die Zeit dazu«, knurrte Godril und sah wieder Gair an. »Ich stelle fest, dass du mit Feuer arbeiten kannst.«
Als Nächstes sprach einer der beiden Brüder. Nun, da Gair ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenkte, sah er silberne Fäden in Haupthaar und Bart des Mannes. Die dunklen Augen bildeten einen starken Kontrast zu seiner fahlen Haut. Sein Name war Barin, und er befahl Gair, mit Wasser zu arbeiten, es in bestimmte Umrisse zu bringen, es aus der Luft zu kondensieren und aus dem Boden zu saugen. Gair schwitzte und bemühte sich angestrengt, die Ergebnisse zu erzielen, die von ihm erwartet wurden. Es gelang ihm.
Barin nickte kurz und war zufrieden. »Ich stelle fest, dass du mit Wasser arbeiten kannst.«
Ihm folgte sein Bruder Eavin, der für das Element Luft zuständig war.
Gair wurde befohlen, kühlende Brisen zu erschaffen, Feuer auszublasen, Luft und Wasser zu einer Wasserhose zu verwirbeln, weiterzuatmen, während der Meister ihn zu ersticken versuchte, und einen Schild um sich herum zu bilden, während er mit allen Arten von Gegenständen – sowohl wirklichen als auch eingebildeten – beworfen wurde. Gair war über alle Maßen dankbar für Alderans Lektionen auf der Kielkätzchen .
Esther, die großmütterliche Frau, arbeitete mit dem Element Erde. Auch wenn ihr Erscheinen so wohlwollend und angenehm war, hatte sie die Augen eines Geldverleihers, und hinter ihrer gelassenen Kraft lag ein erstaunlicher Hang zur Unbarmherzigkeit. Ihre dicken Hände erschufen Erdbeben, brachen Felsen entzwei und schmolzen sie mit Feuer, und Gair wurde abwechselnd befohlen, es ihr gleichzutun oder sie davon abzuhalten.
Dann vereinigten alle vier Meister ihre Gaben – Wasser, Feuer, Erde und Luft – in unterschiedlichen Zusammensetzungen, bis Gair der Kopf schwirrte. Es wurde immer schwieriger, sie zufriedenzustellen. Jedes Versagen und jeder erneute Versuch trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. In seinen Schläfen pochte es heftig, und nur seine Sturheit hielt ihn auf den Beinen.
Schließlich brachen die vier Meister die Prüfung ab. Gair ließ den Sang in seinem Inneren los, beugte sich vor und atmete tief ein,
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