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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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als er beschloss, sich als Arzt in diesem Ärztezentrum im Norden von Seeland niederzulassen. Aber Nina bezweifelte das. Allan hatte garantiert nie davon geträumt, dies hier als feste Nebenbeschäftigung auszuüben. Sie schaute in den Rückspiegel.
    Der Junge hatte sich in der ganzen Zeit, in der sie ihn nun in ihrem Auto hatte, nicht einmal gerührt. Die Falten der Decke lagen noch genauso wie beim Verlassen des Parkhauses. Ein blondes, feuchtes Haarbüschel ragte an einer Stelle unter der Decke hervor. Nina hatte dafür gesorgt, dass der Mund des Jungen nicht bedeckt war, aber er gab sowieso keinen Ton von sich.
    Tock, tock.
    Nina fuhr bei dem leisen Klopfen gegen die Windschutzscheibe zusammen. Es war Allan. Seine hagere Gestalt schob sich vor die Sonne, als er sich vornüberbeugte und mit halb zugekniffenen Augen ins Wageninnere sah. Er klopfte erneut, aber ehe sie reagieren konnte, rüttelte er vergeblich an einer der hinteren Türen des Wagens. Offenbar hatte sie alle Türen verriegelt, auch wenn sie sich nicht mehr erinnern konnte.
Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Hände noch immer das Lenkrad umklammerten. Sie musste sich regelrecht darauf konzentrieren, sie zu lösen. Mit fahrigen Bewegungen entriegelte sie die hintere Tür und stieg aus.
    Allan hob den Jungen vorsichtig aus dem Auto und legte ihn über die Schulter, immer noch in die Decke eingehüllt.
    »Was weißt du?«
    Er war bereits auf dem Weg ins Haus, und Nina musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten.
    »Nichts. Oder so gut wie nichts. Er lag in einem Koffer.«
    Nina schloss die Tür hinter ihnen und folgte Allan, der mit raschen Schritten sein Sprechzimmer ansteuerte. An den Wänden hingen fröhliche Kinderzeichnungen, und neben seinem Computer stand eine Clownpuppe, mit der er wahrscheinlich seine jüngsten Patienten aufmuntern wollte.
    Aber in diesem Fall nützte der Clown nichts. Der Junge aus dem Koffer hing schlaff und leblos über Allans Schulter. Wie eine von Idas ausgedienten Schlenkerpuppen, dachte Nina und spürte plötzlich den allzu bekannten, metallischen Geschmack im Mund, der sich immer dann einstellte, wenn jede Zelle ihres Körpers Adrenalin ausschüttete. An diesem Geschmack erkannte sie ihre Angst. Er erinnerte sie an die Lager in Dadaab und Nangweshi und all die anderen Höllenlöcher, in denen sie gelebt hatte, während sie die Kinder der anderen versorgte und pflegte. (Und an den Tag, an dem er gestorben war.)
    Nina schob den Gedanken genauso schnell beiseite, wie er gekommen war, und heftete ihren Blick auf Allan und den Jungen. Allan hatte den kleinen, schlaffen Körper auf die Pritsche gelegt und einen Zeige- und Mittelfinger an den Hals des Jungen gelegt. Sein Gesicht war hoch konzentriert. Nina sah einen einzelnen Schweißtropfen über seinen Hals laufen und in dem offen stehenden weißen Hemd verschwinden. Es war nicht der passende Augenblick, um etwas zu sagen.

    Das Blutdruckmessgerät stand auf Allans Schreibtisch, aber die Manschette war viel zu groß für das dürre Ärmchen des Jungen. Er suchte eine kleinere und schloss sie an. Das Kind reagierte weder auf die hohen Piepslaute des Apparates noch auf den Druck der aufgeblasenen Manschette. 90/52. Sie drehte den Monitor so, dass Allan die digitalen Zahlen sehen konnte.
    Der Arzt legte die Stirn in Falten und strich dem Jungen mit einer Hand über den Brustkorb. Dann legte er das Stethoskop auf die glatte Haut und bewegte es schnell und präzise von der Brust über die Bauchdecke. Er drehte den Jungen mit einer Vorsicht auf die Seite, die Nina fast wehtat und von der ihr innerlich ganz warm wurde. Er hörte ihn noch einmal ab und ließ den Jungen dann auf den Rücken rollen, wo er mit seitlich ausgestreckten Armen liegen blieb.
    Es beunruhigte Nina, dass der Junge noch immer kein Zeichen von Leben zeigte. Als wäre er weder tot noch lebendig, einfach nur ein Ding. Allan schob ihm vorsichtig ein Augenlid hoch und leuchtete in die Pupille.
    »Ich würde sagen, er wurde betäubt«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht, womit, aber wahrscheinlich ist es nicht direkt lebensbedrohlich.«
    »Sollen wir ihm Naloxon geben?«, fragte Nina.
    Allan schüttelte den Kopf.
    »Die Atmung ist in Ordnung. Der Blutdruck ist etwas niedrig und er hat ein Flüssigkeitsdefizit, aber ich gehe davon aus, dass er von alleine aufwachen wird. Ganz davon abgesehen sollten wir nichts verabreichen, solange wir nicht wissen, was er bekommen hat.«
    Nina nickte nachdenklich und

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