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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Mitgefühl mitschwingen zu lassen. »Nichts Schlimmes, hoffe ich?«
    »Nein«, antwortete sie. »Ich bin auf der Treppe gestürzt. Aber es wird noch ein paar Tage dauern, bis ich wiederkomme.«
    Die Stille am anderen Ende war fast greifbar.
    »Es tut mir leid«, wiederholte sie.
    »Ja. Da kann man nichts machen … aber die Zahlen?«
    »Im Archivschrank hinter meinem Schreibtisch liegt ein grüner Ordner. Schauen Sie unter Dobrovolskij nach. Die Abrechnung muss ganz vorne liegen.«
    »Sigita, verdammt. Nicht die Zahlen.«
    Sie wusste gut, was er meinte. Wenn man mit Dobrovolskij arbeitete, gab es immer etwas, das nicht schriftlich festgehalten wurde und in keinem offiziellen Archiv auftauchte. Sigita hatte sich bei Algirdas schnell unentbehrlich gemacht, weil sie diese Zahlen immer im Kopf hatte. Sogar der alte Dobrovolskij, mit dem man ansonsten nur schwer auskam, vertraute inzwischen darauf, dass Sigita alles unter Kontrolle hatte und sich mit hundertprozentiger Verlässlichkeit an alle mündlichen Vereinbarungen erinnerte.
    Im Moment erinnerte sie sich jedoch nicht einmal an ihre eigene Telefonnummer. In ihrem Kopf befand sich nur eine graue Masse aus Übelkeit und Verwirrung.
    »Bedaure«, sagte sie. »Ich habe eine Gehirnerschütterung.«
    Dieses Mal war die Stille noch lauter. Sie konnte beinahe hören, wie die Panik in Algirdas’ Atem kroch.
    »Wie lange …?«, fragte er vorsichtig.
    »Sie sagen, dass das Gedächtnis in der Regel nach ein paar Wochen wiederkommt.«
    »Ein paar Wochen ?«
    »Tut mir leid! Ich hab das nicht mit Absicht gemacht!«

    »Nein, nein, natürlich nicht. Dann müssen wir halt irgendwie versuchen zurechtzukommen. Aber …«
    »Ja, sobald ich kann.«
    »Gute Besserung.« Er legte auf. Sie ließ das Handy in ihren Schoß fallen.
    Ihr Kopf tat weh. Es fühlte sich an, als würde eine riesige Hand ihren Schädel zusammenpressen, nicht konstant, sondern in Wellen, immer im Takt mit ihrem Puls. Noch einmal wählte sie Darius’ Nummer.
    »Sie haben die Nummer von Darius Ramoška …«
    Sie blieb lange auf einem der weiß gestrichenen Küchenstühle sitzen und versuchte nachzudenken.
    Dann rief sie die Polizei an.

     
    Der Junge lag bewusstlos unter der karierten Picknickdecke auf der Rückbank. Und Karin ging nicht ans Telefon.
    Nina schloss einen Moment die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. 13.35 Uhr. Sie schätzte, dass es jetzt 13.35 Uhr war … Ihre Hand zitterte leicht, als sie das Gelenk drehte, um auf ihrer Armbanduhr nachzusehen. 13.36 Uhr stand dort in großen, digitalen Ziffern. Close enough. Erleichterung durchströmte sie und machte das Denken ein ganz klein bisschen einfacher.
    Tut mir leid, Karin, sagte sie im Stillen. Aber das hier ist einfach zu viel.
    Sie zog die Decke zurecht, damit man nicht gleich sah, dass ein Kind darunter lag. Dann drehte sie die Scheibe herunter, damit Luft ins Auto kam. Sie schloss den Fiat ab und eilte fast im Laufschritt davon.
     
    Sie durchquerte die Bahnhofshalle und steuerte die Polizeistation an. Was zum Teufel sagt man in so einem Fall? Guten Tag, ich habe ein Kind gefunden?
    Die Beamtin am Empfang sah sie müde an. Sie hatte vermutlich nicht gerade den einfachsten Arbeitsplatz in Kopenhagen.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie.
    »Ähm … in meinem Auto ist ein Kind, das …«
    Nina wurde von einem Lachen aus dem Funkgerät der Frau unterbrochen. Sie konnte nicht hören, was gesagt wurde, aber
die Polizeibeamtin antwortete mit einem schnellen »Verstanden, ich bin unterwegs« und lief zur Tür.
    »Einen Augenblick …«, rief sie Nina über die Schulter zu. Nina folgte ihr in die Bahnhofshalle und sah, wie die Frau und ein uniformierter Kollege in Richtung Gepäckaufbewahrung im Untergeschoss rannten. Sie folgte ihnen, ohne es eigentlich zu wollen.
    Schon nach wenigen Stufen hörte sie den Lärm. Alle horchten auf, manche blieben am Eingang der Sackgasse stehen, in der sich das Fach Nr. 37-43 befand. Nina lief ein Schauer über den Rücken, trotzdem folgte sie den Polizisten.
    In dem Gang stand ein Mann und trat mit erschreckender Brutalität gegen die Metalltüren. Sie erhaschte einen Blick auf seinen Nacken - seine Haare waren so kurz geschoren, dass er fast kahl wirkte -, und seine breiten, kräftigen Schultern kamen durch die glänzend braune Lederjacke noch stärker zur Geltung. Im Stillen fragte sie sich, wie er es bei dieser Hitze in der Lederjacke aushielt. Als die Polizisten ihn erreichten, schüttelte er die

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