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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Augen, als Nina sie an der Tür zu ihrer und Mortens neuer Wohnung in Østerbro willkommen hieß. Als alles so perfekt war und Nina zum ersten und einzigen
Mal eine Balance in ihrem Kopf spürte. Sie hatte 25 Kilo zugenommen und genoss jedes Gramm, das sie rund, fest und weich zugleich machte.
    Karin sagte nichts. Sie gratulierte ihr nicht einmal.
    Danach wurden die Abstände zwischen den Anrufen länger, und als sie Karin bei dem famosen Weihnachtsessen mit einer viel zu kleinen albernen Zipfelmütze auf dem Kopf wiedertraf, waren vier Jahre seit der letzten Begegnung vergangen.
    Obgleich Nina schon ziemlich früh am Abend betrunken gewesen war, bekam sie mit, dass Karin erzählte, sie sei jetzt endgültig nach Hause gekommen. Wenn Nina sich richtig erinnerte, hatte sie Arbeit in der Nähe von Kalundborg gefunden.
    Nina legte die Stirn in Falten, als sie versuchte, sich das letzte Treffen in Erinnerung zu rufen. Auf dem Tisch hatten zwei handgeblasene Schnapsgläser mit Zipfelmützen gestanden, jede Menge Bier, und merkwürdigerweise auch Konfetti und Papierschlangen, was sonst ja eher zu Silvesterpartys gehörte.
    Karin hatte eine Stelle als Privatkrankenschwester angetreten und verdiente richtig gutes Geld. Nina erinnerte sich plötzlich ganz deutlich, weil ihr so eine seltsame Trägheit in Karins Augen aufgefallen war. Sie hatte zu viel Schnaps getrunken und drehte einen Plastikbecher Bier zwischen den Händen, während sie erzählte, wie viel sie nach Abzug der Steuern ausbezahlt bekam. Und dass sie noch nicht einmal Miete zahlen müsse, weil der Vertrag eine geile Wohnung mit Aussicht über die Bucht einschloss. Das gedämpfte Licht zeichnete tiefe Furchen in ihre Stirn und senkrechte Falten um ihre Lippen, und zum ersten Mal fand Nina ihre alte Freundin abstoßend. Sie erkannte sie nicht wieder. Ihr fiel wieder ein, wie herablassend und arrogant sie am Ende des Abends Karin gegenüber gewesen war. Sie hatten beide viel zu viel getrunken, mehr als je
zuvor in Gesellschaft, und Nina fühlte sich müde, verqualmt und aggressiv.
    Vielleicht hatte sie deshalb gesagt, dass sie noch immer die Welt rettete. Und dass sie glücklich war. Weil sie die perfekte Familie hatte, den idealen Mann, und dass sie sich in ihrer Freizeit um die Kinder, Frauen und verkrüppelten Männer kümmerte, um die sich in diesem verfickten Dänemark sonst niemand kümmerte.
    Sie hatte vom Netzwerk erzählt.
    Das Erste war eine Lüge, aber eine, die fantastisch guttat. Das Zweite stimmte. Sie investierte viel Zeit in das Netzwerk. Zu viel, wenn es nach Morten ging. Er warf ihr immer wieder vor, es gehe ihr nur um den Adrenalinkick, aber das war es nicht allein. Sie hatte immer noch das Bedürfnis, die Welt zu retten, um sich zu beweisen, dass sie nicht ganz machtlos war.
    Nina schüttelte leicht den Kopf und nahm den Fuß vom Gas. Sie war hier schließlich nicht auf der Autobahn, andererseits fuhren die anderen auch nicht langsamer. Der Junge war wieder still. Er hing halb liegend, halb sitzend auf dem Beifahrersitz, hatte die Knie bis ans Kinn gezogen und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die vorbeisausende Landschaft. Auf jeder zweiten Wiese standen Pferde und dösten in der Abenddämmerung.
    Sie dachte an die Worte, die er mit den panischen Schreien ausgestoßen hatte und die fremdartige Formationen in der Luft bildeten. Das Wort »Mama« war deutlich rauszuhören gewesen, aber darüber hinaus hatte Nina nicht eine verständliche Silbe identifizieren können. Nicht eine einzige. Sie verstand weder die Worte noch war ihr der Klang der Sprache vertraut. Eventuell eine osteuropäische Sprache, dachte sie mit einem Blick auf die fast durchsichtige Haut des Jungen. Andererseits war sie sich ziemlich sicher, dass der Junge weder Polnisch noch Russisch gesprochen hatte. Dafür waren
es zu wenig Zischlaute. Sie verfluchte sich stumm für ihre mangelnden Sprachkenntnisse und massierte sich den Nasenrücken mit der freien Hand. Sie war so müde, als hätte sie nächtelang nicht geschlafen, und musste die Augen zukneifen, um die digitalen Ziffern auf der Uhr im Armaturenbrett zu erkennen.
    20.58 Uhr.
    Was Morten und die Kinder wohl gerade machten? Ida saß wahrscheinlich in ihrem Zimmer, völlig hypnotisiert von einem ihrer ewigen Computerspiele. Und Morten dürfte längst mit der Gutenachtgeschichte für Anton fertig sein. Falls er nicht zu aufgewühlt war, um vom Leben im Kirschblütental und Sofias Tauben vorzulesen. Er hatte ihr gesagt,

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