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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Entfernung zwischen Tours und Pont-d-Ruan. Dann schämte ich mich meiner Torheit, lief zu Fuß weiter und schlich wie ein Spion leise an die Terrasse heran. Die Comtesse war nicht dort. Ich dachte mir, daß sie litte. Und da ich den Schlüssel der kleinen Pforte behalten hatte, öffnete ich und trat ein. In diesem Augenblick kam sie mit ihren beiden Kindern die Stufen der Terrasse herunter, um langsam und traurig die sanfte Wehmut einzuatmen, die der Sonnenuntergang über diese Landschaft ausbreitet.
    »Mutter, da ist Felix!« rief Madeleine. »Ja, ich bin's«, flüsterte ich. »Ich habe mir überlegt, was ich eigentlich in Tours tun sollte und daß es mir doch ein leichtes wäre, Sie noch einmal zu sehen. Warum sollte ich nicht einem Wunsche nachgeben, den ich mir in acht Tagen werde versagen müssen?«
    »Er bleibt bei uns, Mutter!« jauchzte Jacques und hüpfte vor Vergnügen. »So sei doch ruhig!« sagte Madeleine. »Du wirst noch mit deinem Geschrei den General herauslocken.«
    »Das war nicht vernünftig«, flüsterte Henriette; »welche Torheit!«
    Diese Worte, mit Tränen in der Stimme gesprochen, waren ein guter Gewinn in einer Sache, die man die geschäftlichen Spekulationen der Liebe nennen könnte.
    »Ich mußte Ihnen noch diesen Schlüssel zurückgeben«, sagte ich lächelnd. »Werden Sie denn nicht wiederkommen?« fragte sie. »Können wir denn voneinander lassen?« fragte ich mit einem Blick, der sie zwang, die Lider zu senken, um ihre stumme Antwort zu verschleiern.
    Ich brach auf, nach wenigen Momenten einer glücklichen Betäubung, die an der Grenze von Begeisterung und überschwenglicher Verzückung liegt. Langsamen Schrittes entfernte ich mich und blickte immer wieder zurück. Als ich von der Höhe des Plateaus zum letzten Mal das Tal betrachtete, war ich ganz ergriffen vom Gegensatz zwischen dem, was es jetzt war, und dem Anblick, den es bei meiner ersten Ankunft geboten hatte. Grünte es nicht damals, flammte es nicht, wie meine Wünsche und Hoffnungen flammten und grünten?... Jetzt war ich eingeweiht in die dunkeln und trüben Geheimnisse einer Familie, ich teilte die Herzensängste einer christlichen Niobe, war traurig wie sie, und meine umwölkte Seele fand, daß das Tal in seiner jetzigen Gestalt mit meinem Empfinden übereinstimmte. Die Felder lagen kahl, die Blätter der Pappeln fielen zu Boden, und die noch an den Zweigen hingen, waren rostfarben, die Weinranken hatte die Sonne verbrannt, und die Wipfel der Wälder zeigten die ernsten lohfarbigen Töne, die Könige ehemals für ihre Gewandung wählten, um den Purpur der Macht unter dem Braun der Sorgen zu verbergen. So war das Tal, wo die bleichen Strahlen einer matten Sonne erstarben, ganz das lebendige Ebenbild meiner Seele. Eine geliebte Frau verlassen, das ist je nachdem etwas Tragisches oder eine Banalität. Ich befand mich plötzlich wie in einem fremden Lande, dessen Sprache ich nicht kannte. Ich konnte zu nichts Fühlung gewinnen, da ich nur Dinge sah, die meiner Seele fremd waren. Da entfaltete sich die ganze Weite meiner Liebe, und meine liebe Henriette entstieg in ihrer ganzen Größe dieser Einöde, wo ich nur durch den Gedanken an sie lebte. Ihr Bild ward so andächtig verehrt, daß ich beschloß, vor meiner heimlichen Gottheit makellos zu bleiben, und in Gedanken hüllte ich mich in das weiße Gewand der Leviten, Petrarca nacheifernd, der nie anders als weißgekleidet vor Laura von Nover erschien.
    Mit welcher Ungeduld erwartete ich die erste Nacht, wo ich zu Hause wäre und den Brief lesen könnte, den ich unterwegs betastete wie der Geizhals das Bündel Banknoten, das er bei sich führen muß. In der Nacht küßte ich das Dokument, worin Henriette ihren Willen niedergelegt hatte. Ich wollte das geheime Fluidum, das ihrer Hand entströmt war, in mich aufnehmen, und der Klang ihrer Stimme sollte mein andachtsvolles Ohr erfüllen. Ich habe ihre Briefe nie anders gelesen, als wie ich den ersten las: im Bette liegend, mitten im tiefsten Schweigen der Nacht. Ich verstehe nicht, wie man die Briefe eines geliebten Menschen anders lesen kann. Und doch gibt es Menschen, und sie verdienen nicht, geliebt zu werden, die solche Briefe mitten in ihren Tagesgeschäften lesen, sie halbgelesen hinlegen, sie dann wieder in die Hand nehmen, und das alles mit einer hassenswerten Gemütsruhe. – Dies, Natalie, ist die angebetete Stimme, die in der Stille der Nacht erklang, dies die erhabene Gestalt, die sich neben mir aufrichtete, um mir den

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