Die Lilie im Tal (German Edition)
zweifeln? denn Sie haben vor kurzem noch gezweifelt!« – »Nicht, was die Gegenwart betrifft«, erwiderte sie und sprach mich unbeschreiblich sanft an, mit einem Blick, der sich nur für mich verschleierte; »aber als ich Sie so strahlend sah, sagte ich mir: unsere Verabredungen wegen Madeleine werden von einer fremden Frau durchkreuzt werden, welche die verborgenen Schätze Ihres Herzens erraten, die Sie anbeten wird, die uns unsern Felix rauben und hier alles zerstören wird.« – »Immer wieder Madeleine!« sagte ich mit sichtlichem Erstaunen, was sie aber nur halb betrübte. »Bin ich denn etwa Madeleine treu?« Wir verfielen in ein Schweigen, das Monsieur de Mortsauf vorzeitig unterbrach. Nun mußte ich, mit übervollem Herzen, eine Unterhaltung führen, die von Schwierigkeiten starrte, wo meine aufrichtigen Auskünfte über die damalige Politik des Königs sich an den Grundsätzen des Comte stießen, der mich zwang, ihm die Absichten des Königs klarzulegen. Trotz all meiner Fragen über seine Pferde, seine landwirtschaftlichen Angelegenheiten und ob er mit seinen fünf Pachtgütern zufrieden sei, ob er die Bäume einer alten Allee fällen wolle: trotz all dieser Fragen kam er immer wieder auf die Politik zurück; er hatte die Zanksucht eines alten Mädchens und den Eigensinn eines Kindes. Denn Wesen von dieser Art fliegen gern ins Licht, kehren immer wieder, summen verständnislos darum herum und ermüden den Verstand, wie dicke Fliegen das Ohr ermüden, wenn sie an erhellten Scheiben schwirren. Henriette schwieg. Um dieser Unterhaltung ein Ende zu machen, die mich, der ich so jung war, leicht hätte erhitzen können, antwortete ich zustimmend, einsilbig und ging so unnötigen Auseinandersetzungen aus dem Wege. Aber Monsieur de Mortsauf war viel zu klug, um nicht zu merken, wie beleidigend eigentlich meine Höflichkeit sei. Es erbitterte ihn, immer recht zu bekommen; er bäumte sich auf, seine Augenbrauen und die Runzeln auf seiner Stirn zuckten, seine gelben Augen sprühten Blitze, seine blutunterlaufene Nase rötete sich noch mehr, genau wie an dem Tage, wo ich zum erstenmal Zeuge seiner Tobsuchtsanfälle gewesen war. Da warf mir Henriette flehende Blicke zu und gab mir zu verstehen, daß sie für mich nicht die Autorität entfalten könnte, die sie zum Schutze und zur Rechtfertigung ihrer Kinder aufwandte. Ich ging dann auf die Ansichten des Comte ein, indem ich ihn ernst nahm und seinen argwöhnischen Geist mit äußerster Geschicklichkeit lenkte.
»Armer Liebling! Armer Liebling!« Mehrmals murmelte sie diese zwei Worte, die mein Ohr wie milde Luft berührten. Dann, als sie glaubte, mit einigem Erfolg einschreiten zu können, unterbrach sie uns: »Wissen Sie, Messieurs, daß Sie über die Maßen langweilig sind?«
Durch diese Bemerkung zum ritterlichen Gehorsam, den man Frauen schuldet, zurückgeführt, hörte der Comte auf, von Politik zu sprechen. Wir stellten nun unserseits die Geduld auf die Probe, indem wir uns Nichtigkeiten erzählten. Er schlug uns vor, spazierenzugehen, und behauptete, daß er schwindlig würde, wenn er sich so stets im selben Kreise bewegen müsse.
Meine traurigen Vermutungen erwiesen sich als richtig. Die sanfte Landschaft, die milde Luft, der klare Himmel, die berauschende Poesie dieses Tales, die fünfzehn Jahre lang die peinigenden Gedanken gemildert hatten, waren jetzt dagegen ohnmächtig. In dem Lebensalter, wo bei andern Menschen Herbheiten sich mildern, Kanten sich abschleifen, wurde dieser alte Edelmann immer streitsüchtiger. Seit mehreren Monaten widersprach er, nur um zu widersprechen, ohne Grund, ohne seine Auffassungen zu rechtfertigen; er fragte bei allem: warum?, regte sich über eine Verspätung oder eine Vergeßlichkeit auf, mischte sich bei jedem Anlaß in Hausangelegenheiten, ließ sich über die unwichtigsten Kleinigkeiten Rechenschaft ablegen, so daß er seine Frau und die Leute ermüdete und ihnen wenig oder gar keine Freiheit ließ. Früher hatten seine Gereiztheiten immer einen, wenn auch nur scheinbaren Grund, jetzt waren sie chronisch geworden. Vielleicht hatten Geldsorgen, landwirtschaftliche Unternehmungen, ein sehr tätiges Leben bis dahin seinen Trübsinn dadurch abgelenkt, daß sie seine innere Unruhe auf ein Gebiet verwiesen, wo er sich regen und handeln konnte, und jetzt, wo er keine Beschäftigung mehr hatte, wandte sich seine Krankheit in ihrer ganzen Gewalt wie eine Waffe gegen ihn; da sie sich nicht mehr nach außen hin betätigen
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