Die Lilie von Florenz
schmackhafter zu machen oder das harte Brot darin zu tunken.
Sie spürte, dass sie hier nicht erwünscht war. Dass der neue Stern am Opernhimmel ein Kastrat war, konnte man hinnehmen, das war nun einmal so und damit musste man sich abfinden. Doch viele der Anwesenden hatten wohl etwas dagegen, dass Luigi seine sexuelle Orientierung so offen zeigte, indem er einen Knaben zur Tafel führte.
Allegra beschloss, gesellschaftlichen Ereignissen wie diesem in Zukunft fern zu bleiben â zumindest solange, bis sie wieder als die Person auftreten konnte, die sie war. Alessandro Bandini musste mit diesem Abend im Schatten verschwinden. Er durfte nicht mehr in der Oper sitzen und Luigi Bandinelli zujubeln. Er durfte sich nicht mehr mit Luigi Bandinelli zeigen. Wer weiÃ, vielleicht konnte Alessandro Bandini ihrem Bruder und seinem Fortkommen sogar schaden?
Die Soiree zog sich endlos hin. Erst weit nach Mitternacht bestiegen sie ihre Kalesche. Luigi gähnte hinter vorgehaltener Hand. Sein Strahlen war verflogen und wich nun einer Unsicherheit, die Allegra beunruhigte.
âWas ist los?â, fragte sie leise.
âIch habe deinen Blick vorhin bemerkt.â
Vor ihm konnte sie wohl nichts geheim halten â¦
âIch habe mir überlegt, dass ich in Zukunft wohl lieber im Palazzo bleibe, wenn du deine Auftritte hast. Zumindest solange ich noch Alessandro Bandini mimen muss. Und mir scheint, dass ich diese Rolle noch eine Zeit lang spielen werde. Zumindest solange Matteo in der Stadt ist â¦â
Luigi schwieg dazu. Allegra blickte zu ihm auf und erst jetzt bemerkte sie, wie ihr Bruder sie prüfend musterte.
âDu musst dich nicht vor ihm verstecken, Allegraâ, sagte er leise. âDu musst dich vor niemandem verstecken, schlieÃlich bist du meine Schwester.â
âDas stimmt wohl. Ich muss mich vor niemandem verstecken. AuÃer vor dem Mann, in den ich mich so unvernünftig verliebt habe. Ich muss ihn mir nur aus dem Kopf schlagen, Luigi. Das ist alles.â
Sich Matteo aus dem Kopf schlagen ⦠Allegra musste in den nächsten Wochen erkennen, dass dies gar nicht so einfach war. Im Gegenteil, es war sogar verdammt schwer, denn sie begegnete Matteo auf Schritt und Tritt, und wenn sie nicht ihm persönlich über den Weg lief, dann belauschte sie immer ausgerechnet die jungen Mädchen, die von dem Florentiner Conte schwärmten, der âso düster und traurig wirkt, als trüge er an einem schweren Geheimnis".
Ja, man hätte meinen können, dass Rom eine riesige Stadt war, in der es Allegra ein Leichtes gewesen wäre, Matteo aus dem Weg zu gehen. Manchmal hatte sie ihn im Verdacht, dass er sie tatsächlich verfolgte. Oder lag es nur daran, dass sie sich in denselben Kreisen bewegten?
Einerlei. Das Ergebnis blieb dasselbe, und nachdem Allegra auf einem Maskenball beinahe mit Matteo zusammengestoÃen wäre und nur ihre Geistesgegenwart und ein Schubser gegen einen Lakai mit einem Tablett Champagnerflöten sie davor bewahrte, Matteo von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, begann Allegra zu begreifen, dass es so nicht weiterging.
Sie zog die Konsequenz aus diesen zahlreichen Zufällen, die keine Zufälle mehr sein konnten. Sie blieb im Palazzo des Maestros, der über die Weihnachtsfeiertage zu Besuch kam, ehe er wieder nach Florenz verschwand.
Der Maestro war mehr als zufrieden mit Luigis Erfolg. Seit Farinellis Debüt, so munkelte man, hatte es keinen Sänger wie Luigi gegeben, und schon kamen Depeschen aus den Fürstenhäusern Europas, denn jeder Fürst wollte sich mit dieser neuen Wunderstimme schmücken.
Da Luigi in diesem Winter seinen Ruhm in Rom voll auskosten wollte und da ihm seine Gesangsproben und die zahlreichen anderen Verpflichtungen keine Zeit lieÃen, übernahm Allegra die Aufgabe, mit den Herrschern zu korrespondieren und mit ihnen zu verabreden, wann Luigi zu ihnen reisen wollte oder nicht. Diese Arbeit lenkte sie vortrefflich von ihrem Schmerz ab. Zumindest redete sie es sich erfolgreich ein.
Es war ein bitterkalter Tag Mitte Januar, als Luigi sich am späten Vormittag zu ihr in das Arbeitszimmer gesellte, das der Maestro ihr zugebilligt hatte. Es war ein kleiner Raum, der an ihr Schlafzimmer grenzte. Doch die Kammer verfügte über einen Kamin, in dem ein wärmendes Feuer brannte, und während drauÃen eine für römische Verhältnisse ungewöhnliche Winterkälte herrschte,
Weitere Kostenlose Bücher