Die Lilie von Florenz
wert.
âBist du soweit?â
Allegra zögerte. Nun gibt es kein Zurück mehr, dachte sie. Wenn ich jetzt mit Luigi die Kutsche verlasse â¦
Sie gab sich einen Ruck.
âKommâ, sagte sie.
Sie sprang aus der Kutsche und Luigi folgte ihr. Allegra blickte sich unsicher um. So viele Leute strebten dem Palazzo zu, so viele Kutschen ratterten an ihr vorbei, als sie den Vorplatz überquerte. Und dort stand auch die Kutsche mit Matteos Wappen auf den Türen ⦠Sie blieb wie angewurzelt stehen.
âAlle⦠Alessandro?â
Luigi trat neben sie und blickte sie fragend an.
Wirst du mich erkennen, Matteo? Und wie wirst du reagieren? Wirst du mir zu verstehen geben, dass du mich erkennst? Oder wirst du an mir vorbeisehen, weil ich für dich gestorben bin?
âWas ist los?â
âNichts.â Sie machte zwei Schritte auf die Freitreppe zu. Die Aufregung raubte ihr den Atem. Jetzt nur nichts falsch machen â¦
Sie hatte sich an diesem Abend ein letztes Mal als Alessandro Bandini verkleidet. Doch sie hatte auf einige Details verzichtet. Die Brüste waren nicht eingeschnürt, und so konnte man unter dem Justaucorps und der Weste durchaus ihre weiblichen Rundungen erahnen. Statt eine Perücke zu tragen, hatte sie das kastanienrote Haar zu einem Zopf zusammengefasst, der mit einem schwarzen Samtband zusammengehalten wurde. Es war ein erster Schritt aus der Deckung, die sie so sorgfältig aufrechterhalten hatte. Heute machte Allegra Bandinelli den ersten Schritt zurück in ihr Leben.
Sie hatte Angst.
Aber was konnte ihr schon passieren?
Matteo könnte sie erkennen und sie nicht mehr wollen. Das wäre das Schlimmste. Es wäre unerträglich. Sie schloss kurz die Augen und stellte sich vor, wie dann ihr Leben verlaufen würde â¦
Nein. Sie konnte es sich nicht vorstellen.
Sie würde Matteo suchen. Alles, was danach passierte, lag allein in seiner Hand. Seiner Reaktion, wenn er sie erblickte.
Sie betrat den hohen Saal und blickte sich suchend um. Luigis Gegenwart tat ihr gut und spendete ihr Trost.
Wo war Matteo?
Da war sie.
Alberto nickte stumm in die Richtung, und Cristina wandte sich um. Der Fächer flatterte aufgeregt vor ihrem Gesicht, während sie quer durch den hell erleuchteten Saal zu den beiden jungen Männern hinüberblickte, die mit einer hochgewachsenen, hageren Frau beisammenstanden.
Die junge Frau kannte Cristina. Es war Daniela Grossi, die Nichte des Kardinals. Manche munkelten gar, ihr Verwandtschaftsverhältnis sei noch enger. AuÃerdem ging seit Wochen das Gerücht, sie habe sich auf eine Affäre mit dem Kastraten Luigi Bandinelli eingelassen. Allegras Bruder. Er stand dicht neben Daniela Grossi und flüsterte ihr etwas ins Ohr, das sie zum Lachen brachte. Wenn sie lachte, sah sie direkt niedlich aus, befand Cristina.
Der junge Mann neben den beiden ⦠Cristina stockte der Atem. Ja. Das konnte nur Allegra sein. Alberto hatte recht â es war wirklich offensichtlich, dass sich unter den Kleidern des Mannes eine Frau verbarg. Ihre zarten Gesichtszüge, die groÃen grauen Augen, das kastanienrote Haar â das alles war Allegra Bandinelli. Doch etwas war anders als noch vor ein paar Monaten, als Cristina ihre Rivalin kennenlernte. Jetzt ging von Allegra Bandinelli ein Strahlen aus, das Cristina nicht zu deuten wusste, bis sie sich umwandte und Allegras Blick folgte.
Der Ball zog die römische Gesellschaft an. Unzählige Leute drängten sich in den hohen Räumen des Palazzo und suchten einen Blick auf den Kardinal zu erhaschen. Gerüchte machten die Runde, und über allem hing ein aufgeregtes Summen.
Doch Cristina hatte für diese Gerüchte keinen Sinn. Sie interessierte es nicht, ob Kardinal Grossi ein Zwillingspaar als seine neuen Geliebten auserkoren hatte, die er heute ganz dezent der Ãffentlichkeit präsentieren wollte. Dezent, dass sie nicht lachte! Nein, ihr Interesse galt allein Allegra. Und dem Mann, der in einem Alkoven stand und reglos die Gäste musterte, während Allegras Blick auf ihm ruhte.
Matteo sah schrecklich müde aus. Als hätte er seit Monaten keinen Schlaf mehr gefunden. Und vermutlich kam das der Wahrheit nahe. Cristina legte kurz die Hand auf Albertos Arm. âIch komme gleich wiederâ, versprach sie ihm. Doch Alberto nickte nur abwesend. Ihn interessierte viel mehr, was bei Kardinal Grossi vor sich ging.
Cristina schob sich durch die Menge
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