Die Lilie von Florenz
Es behagte ihm nicht, wenn eine Frau die Zügel in der Hand hielt. Ebenso konnte er verstehen, wenn sie jetzt darauf bestand, nach ihren Regeln zu spielen. Ein groÃes dunkles Geheimnis rankte sich um sie. Er sah, wie sehr sie kämpfte, es zu bewahren und ihm zugleich zu gefallen.
âWann?â, fragte er leise. Seine Stimme war heiser, und er räusperte sich. âWann kommst du wieder zu mir?â
Sie zögerte. âBald.â Ihr Blick flackerte. Dann schob sie sich an ihm vorbei. âIch komme bald, ich verspreche es.â
âLass mich nicht zu lange warten.â
Dann war sie fort. Matteo blieb noch einen Moment und hörte, wie sich ihre Schritte im Gang eilig entfernten. Cristina schrie und stöhnte jetzt so laut, dass es ihm fast unangenehm war. Dieses Spiel, das im blauen Zimmer getrieben wurde, reizte ihn nicht mehr. Es interessierte ihn nicht, wie es Cristina erging.
Er verlieà den Vorraum und ging in den Ballsaal. Als er sich unter den Gästen umblickte, die noch sehr zahlreich da waren und sich an dem morgendlichen Imbiss und dem Champagner labten, den seine Lakaien auf Tabletts durch die Menge trugen, merkte er erst, wie hungrig er nach dieser Nacht war. Er beschloss, sich ein wenig um die anderen Gäste zu kümmern. Doch schon bald übermannte ihn die Müdigkeit und er zog sich zurück.
Er wollte allein sein. Allein mit seinen Gedanken und den Erinnerungen an sein Sturmmädchen.
Ob sie schon bald wieder zu ihm käme? Er hoffte es â¦
Und wenn sie es nicht tat? Dann würde er die Principessa fragen, was es mit dieser jungen Frau in Knabenkleidern auf sich hatte. Und er würde keine Ruhe geben, ehe die Principessa ihm die wahre Identität seiner neuen Geliebten enthüllte â¦
10. KAPITEL
Erleichtert stellte Allegra fest, dass auch Luigi die ganze Nacht auf dem Fest geblieben war. Als sie den Ballsaal betrat, hörte sie seine Stimme.
Luigi sang.
Sie verharrte an der Tür. In den letzten Jahren hatte sie Luigi nicht singen hören, und ihm jetzt lauschen zu dürfen, nachdem sie eine so unbeschreibliche Nacht hinter sich hatte, trieb ihr die Tränen in die Augen.
Er hatte eine wunderschöne Stimme.
Am anderen Ende des Ballsaals hatte das Orchester seine Instrumente aufgebaut, und auch wenn die Musiker inzwischen längst gegangen waren, stand das Spinett noch dort. Die Gäste bildeten einen Halbkreis um das Spinett. Eine Frau, die etwas zu groà wirkte, saà auf dem Hocker und spielte eine zarte Weise. Doch es war die Stimme ihres Bruders, die Allegra stumm machte und ihr den Atem raubte. Sie merkte gar nicht, wie ihr die Tränen über die Wangen rannen.
Für diese Stimme hatte Luigi alles aufgegeben. Das Leben als Mann. Die Zukunft als Vater einer Familie. Ja, er hatte es sogar aufgegeben, irgendwann ein befriedigendes Liebesleben zu haben. Er stand gerne im Rampenlicht. Schon als Fünfjähriger hatte er jeden Sonntag in der Dorfkirche gesungen. Seine Stimme war Segen und Fluch.
Und an diesem frühen Morgen war diese Stimme zu viel für Allegra. Nach einer Nacht in den Armen des Mannes, den sie von Herzen liebte und dem sie doch nicht ihre wahre Identität enthüllt hatte. Warum nicht? Warum hatte sie gezögert, diesen letzten Schritt zu tun?
Insgeheim wusste sie die Antwort. Sie hatte Angst, er könnte sie ablehnen. Sie hatte Angst, ihn noch nicht ganz für sich gewonnen zu haben. Aber jetzt wusste sie, was er wirklich wollte. Er hatte es ihr gesagt, und sie hatte dabei seine Erregung gespürt, die sich an ihre Hand drückte. Er wollte sie besitzen und beherrschen, auf eine Art, die sie sich nie hatte ausmalen können. Seine Worte hatten sich ihr ins Gehirn eingebrannt. Ob es wirklich so erregend war, blind zu sein und nur seine Berührungen spüren zu dürfen, ohne ihn selbst berühren zu können?
Wenn es das war, was er wollte ⦠dann würde sie es ihm geben.
Luigi beendete das Lied, und die Gäste applaudierten und jubelten laut. Er verneigte sich und strahlte. Für Luigi war die Bewunderung wie ein Lebenselixier. Er brauchte Publikum, er brauchte das Gefühl, ein Künstler zu sein. Die Gäste zerstreuten sich, einige strebten der Tafel an der Längsseite zu, auf der neue Köstlichkeiten aufgebaut waren.
Allegra merkte erst jetzt, wie hungrig sie war.
Mit der Spinettspielerin, die sich bei ihm untergehakt hatte, kam Luigi zu ihr herüber
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