Die Lilie von Florenz
dürfen. Mit ihm das Lager teilen. Er hat dich entjungfert, ja? Ihr habt es getrieben, die ganze Nacht?â
Sie konnte nur stumm nicken.
âWas hast du dir nur dabei gedacht? Auf dem Verlobungsfest noch lässt du dich so von ihm demütigen, und hier, hier ist es dir egal? Hier darf er dich wie eine billige Hure behandeln?â
âSo war es nicht!â, protestierte Allegra. Angst griff nach ihrem Herzen. Sie streckte die Hand nach Luigi aus, der sich halb von ihr abgewandt hatte. âBitte, Luigi, verstehst du nicht â¦â
âNein!â Er fuhr zu ihr herum, und Allegra prallte zurück. Selten hatte sie ihren Bruder so wütend erlebt. âTut mir schrecklich leid, aber ich verstehe es nicht. Was denkt er jetzt von dir? Er wird die Hochzeit einfordern, und da du nicht mehr Jungfrau bist â¦â Er winkte ab.
âAber er hat mich doch gar nicht erkanntâ, flüsterte Allegra. Das war ihr einziger Trost, ihr einziger Schutz. Sie war erleichtert, weil sie darauf beharrt hatte, die Maske nicht abzulegen, auch nicht in dem Moment, als er danach griff.
Einen Moment waren sie still.
âDu hast die Maske nicht abgenommen?â
Sie schüttelte stumm den Kopf und hielt den Blick auf ihre Bettdecke gerichtet.
âHast die Perücke nicht abgenommen?â
Wieder Kopfschütteln. Nein, auch ihr verräterisch kastanienrotes Haar hatte er nicht gesehen.
Ihre Finger zeichneten die Falten im Laken nach.
âWarum nicht?â
âWeil ich Angst hatte. Angst, dass er mich wie eine Hure behandelt. Dass ich für ihn dann auch nur eine Mätresse unter vielen bin. Er hat mich behandelt wie eine Königin. So wie ich auch als Ehefrau von ihm behandelt werden möchte.â Tränen schossen in ihre Augen. âUnd er hat mich gebeten, wieder zu ihm zu kommen, hat mich gebeten, ihm meinen Namen zu sagen. Er hat mich angefleht, und ich wäre beinahe schwach geworden.â
âAber er weià nicht, dass du es warst?â
Sie schüttelte stumm den Kopf. Jetzt weinte sie wirklich. In was für eine verrückte Situation hatte sie sich nur gebracht? Sie hatte sich Matteo hingegeben und die Stunden bei ihm genossen, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte laut auf. Luigi zog sie in die Arme, und sie spürte seine klebrige Hand, die über ihr kastanienrotes Haar strich.
âNicht weinenâ, flüsterte er. âDann muss ich auch gleich weinen, und dann ⦠dann â¦â
âEr weià nicht, dass ich es war. Er hielt mich für eine Fremde, und er will mich wiedersehen. Ich kann gleich zu ihm gehen und ihm zeigen, wer ich wirklich bin. Und dann ⦠dann â¦â Sie konnte nicht weitersprechen.
Dann konnte er sie heiraten! War es nicht das, was alle wollten? Vater und Luigi, Matteo und sie.
âDu darfst nicht zu ihm gehen und dich ihm offenbaren!â Luigi schob sie auf Armeslänge von sich. âWenn du das tust, verspielst du alles, was wir riskiert haben! Er wird dann eine noch höhere Mitgift fordern. SchlieÃlich bist du keine Jungfrau mehr ⦠Da ist es ihm egal, dass er derjenige war, der dich entjungferte. Und Vater kann sich deine Mitgift schon jetzt kaum leisten.â
âDu meinst â¦â
âSag es Matteo nicht. Nicht jetzt. Bitte, Allegra.â Jetzt standen Luigi Tränen in den Augen. âVater hat mein Debüt schon verkauft. Wenn ich Erfolg habe ⦠wenn ich tatsächlich ein guter Kastratensänger werde, wird er nicht zögern, auch weitere Auftritte zu verkaufen, um dir dieses Glück zu ermöglichen. Und ich würde es ihm gestatten, aber â¦â Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Allegra verstand.
AuÃer seinem Talent war Luigi nichts geblieben. Wenn sie ihm auch die wenigen Möglichkeiten, die ihm sein Gesang bot, verbaute, was blieb ihm dann noch? Wenn er auf Jahre nur sang, um ihr Glück zu gewähren und nicht für sein eigenes Glück zu leben, wie sollte sich da sein Leben für ihn noch lohnen? War es dann überhaupt noch sein Leben?
Jetzt zog sie ihn in ihre Arme und bettete den Kopf ihres schluchzenden Bruders an ihrer Schulter. âIch versteheâ, flüsterte sie.
Aber was bedeutete das für sie?
Ihr blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Jemand klopfte an die Tür des Salons. Alarmiert blickte Allegra auf. Sie saÃ
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