Die Lilie von Florenz
âSignora Allegra, ich habe gerade erfahren, dass Ihr zurück seid ⦠Rosalie bereitet Euer Zimmer vor.â
Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab. Allegra löste sich schweren Herzens von ihrem Vater, der wieder ins Delirium abgeglitten war. Er murmelte leise vor sich hin, doch sie verstand kein Wort von dem, was er sagte.
âLucia, was ist hier los?â, flüsterte Allegra. âMein Bruder erhielt einen Brief, dass Vater todkrank wäre â¦â
âJa â¦â Lucia seufzte. Mit einem Löffel rührte sie in der Schüssel herum, damit die Brühe schneller abkühlte. âEs ging so schnell, Signora Allegra. Vor einer Woche noch ging es ihm gut, und er schien sehr zufrieden zu sein. Dann aber kam dieser Brief â¦â
âWelcher Brief?â, fragte Allegra. Ihr wurde plötzlich kalt, und sie schlang fröstelnd die Arme um ihren eigenen Oberkörper.
âNun ja, das weià ich nicht, Ihr müsst den Verwalter fragen, er kümmert sich jetzt um alles. Aber ich weià noch, wie Euer Vater ⦠er war plötzlich wie besessen, und nachdem er diesen Brief las, ist er ausgeritten. Es war ein schöner Tag, spätsommerlich warm â¦â Gedankenverloren hielt Lucia inne. âDer letzte schöne Sommertag â¦â
âUnd dann? Lucia, was geschah dann?â, drängte Allegra.
âEr ist durch den Fluss geritten. Ihr kennt den Fluss? Im Sommer ist er ja nicht mehr als ein Rinnsal, aber trotzdem hat sein Pferd plötzlich gescheut, und er ist ins Wasser gestürzt.â
Jetzt verlor Lucia die Fassung. Sie wischte sich mit einem Zipfel ihrer Schürze die Tränen aus den Augenwinkeln. âDie Arbeiter fanden ihn erst am nächsten Morgen. Die ganze Nacht hat er im Wasser gelegen, das ihn umspülte, er war unterkühlt. Warum er nicht einfach aufgestanden ist, wissen wir nicht. Aber vermutlich verlor er nach dem Sturz das Bewusstsein. Wir brachten ihn sofort hierher und taten alles für ihn, aber ⦠dann kam das Fieber.â
Allegra rieb sanft den Rücken ihrer Zofe. âIhr habt euch nichts vorzuwerfen, Luciaâ, tröstete sie das pummelige Mädchen, das auch so verhärmt wirkte, als wäre es gerade erst von einer schweren Krankheit genesen. Der Kummer machte Lucia offensichtlich ganz krank, und bestimmt war sie nicht die Einzige. Allegras Vater war schon immer sehr beliebt gewesen bei seinen Leuten, weil er mit sanfter, gerechter Hand das Haus führte.
Aber nie hätten sie zulassen dürfen, dass ihr Vater alleine ausritt! Er war alt und schwach, und jeder wusste das! Warum hatte ihn niemand begleitet? Doch das waren Fragen, die sie später stellen würde. Jetzt musste sie sich zuerst um ihren Vater kümmern.
âWie lange ist er schon so ⦠so â¦â Ihre Stimme versagte.
âSeit vier Tagen. Zunächst dachten wir, es ginge ihm besser. Er hat sogar schon nach Wein verlangt und wirkte fast wieder gesund ⦠Und dann kam das Fieber zurück.â
Allegra gab sich einen Ruck. âWir müssen zunächst frische Luft in dieses Zimmer lassen, und dann schaff die Kohlebecken aus den anderen Schlafzimmern her, wir können sie um das Bett herum aufstellen, das ist besser als der qualmende Kamin. Tabucchi soll trockenes Holz besorgen, wenn es nicht anders geht. Habt ihr nach einem Arzt geschickt?â
Lucia schüttelte stumm den Kopf.
âDann werde ich mich darum kümmern.â
Ihr Vater stöhnte, und Allegra nahm Lucia die Schüssel mit der Brühe aus der Hand. âIch mache das. Kümmere du dich um die anderen Dinge.â
Sie trat an das Bett und setzte sich zu ihrem Vater.
âVater, ich habe etwas zu essen hier. Du hast doch Hunger, nicht wahr?â Sie versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten.
Ihr Vater schlug die Augen auf und blickte sie an. Einen Moment glaubte sie, er würde sie wiedererkennen, doch dann schob sich wieder ein Schleier vor seinen Blick. Es war, als würde sich eine Tür schlieÃen. Als lebte er nur noch in der Vergangenheit, an der Allegra keinen Anteil hatte.
âDu bist so schön, Marieâ, flüsterte er. âAber warum hast du dein Haar abgeschnitten?â
Giulio Tabucchi knetete die Mütze, die er sogleich vom Kopf gerissen hatte, als er das Arbeitszimmer betrat. Sein weiÃes Haar stand wie ein Heiligenschein in alle Richtungen ab. Er wirkte schuldbewusst und hielt den Blick auf
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