Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

Kaff Rohrbrunn liegen. Aber keiner der beiden ließ sich etwas anmerken.
    Leise sprach Regina aus der Erinnerung. »Sie ist der Engel im Land der Qualen, der uns führt hinab in das Reich der Erlösung.«
    Setner kam nun auch näher. »Wie bitte?«
    »Wir suchen einen Hinweis, den uns Ezechiel mitgab, als wir ihn besuchten«, erklärte Regina, während sie den Altar auf der Suche nach einem Anhaltspunkt anstarrte. Alles war kleiner, als es auf den Abbildungen in Pochs Buch gewirkt hatte. Zudemwar das Bild hinter Glas gesetzt worden. Regina begann links, wusste aber nicht so recht, wonach sie suchen sollte.
    Faruk wandte sich an die Kuratorin. »Lassen Sie uns teilhaben an Ihrem Wissen, Sie sind ja die Expertin und wir nur Laien. Als Araber bin ich mit der mittelalterlichen, christlichen Kunst nicht gerade vertraut.«
    In dieser Sekunde hatte Faruk die Frau auf seine Seite gebracht. Regina konnte fast körperlich spüren, wie Setner den Syrer anhimmelte.
    »Nun, zum einen ist es wohl nur vordergründig ein christliches Motiv. Aber das ist erst einmal unwichtig.« Sie griff in ihre Jackentasche und zog einen kleinen metallenen Teleskopstab heraus. Mit einer herrischen und eingeübten Bewegung deutete sie auf den linken Flügel. »Hier sehen Sie den Paradiesflügel. Adam und Eva erkennen Sie im unteren Teil des Flügels, der Baum der Erkenntnis oder, je nach Glauben, der Versuchung, mit der Schlange, ist zu sehen. Darüber befinden sich der Kampf und der Sturz der Engel. Der Erzengel Michael kämpft gegen die gefallenen Engel um Luzifer. Vor Bosch ließen alle Künstler diese Engel in die Hölle fallen, er nicht.« Ihr Teleskopstab wanderte vom linken oberen Rand quer nach unten. »Hier stürzen sie in das Paradies. Das war sehr ungewöhnlich für diese Zeit. Aber er sah das Geschehen als erstes Gericht Gottes an. Wir kennen vom Christentum her meist nur das sogenannte Jüngste Gericht. Aber einige frühe Sekten wie die Manichäer glaubten, dass es bereits bei der Erschaffung des Paradieses ein erstes Gericht gab. Im Zuge dieses Gerichts kam das Böse in Gestalt des gefallenen Engels Luzifer in die Welt.«
    Setner wirkte wie beseelt, als sie zwischen den beiden stand und dozieren durfte.
    »In der Mitte nun das Weltgericht. In einem Halbkreis sitzt Jesus und richtet, flankiert von den üblichen Gestalten: den Aposteln, der Mutter Maria und Johannes dem Täufer. Nur wenige kommen in die winzige Lichtöffnung links oben. Entscheidend aber ist hier der untere Teil. Es ist die Zeit des Jüngsten Gerichts. Tod und Qualen herrschen. Einerseits erkennen Sie die siebenTodsünden in Gestalt der jeweiligen Personen und anhand ihrer Strafen.« Sie deutete mit dem Stab auf eine winzige Szene. »Das ist die Sünde der Habsucht und des Geizes.«
    In siedendem Metall wurden Sünder geröstet, daneben zwangen Teufel einen fettleibigen Mann, ein großes Weinfass auszutrinken.
    »Hier sehen Sie die Faulheit. Den Menschen werden von Teufeln glühende Hufeisen an die Füße genagelt.«
    Regina schüttelte den Kopf. »Wir müssen uns auf Engel konzentrieren.«
    Setner sah sie skeptisch an. »Warum?«
    »Wie ich schon sagte: ›Sie ist der Engel im Land der Qualen, der uns führt hinab in die Kammer der Erlösung.‹ Das war Ezechiels Hinweis.«
    Faruk hatte seinen Kopf weit über die Absperrung geschoben, nur wenige Zentimeter vom Glas entfernt. »Was ist mit dieser Szene?«
    Die Frauen beugten sich ebenfalls vor. Vor einer Hinrichtungsstätte, an der Teufel gerade im Begriff waren, einen nackten Mann aufzuhängen, führte eine Frau mit großen Flügeln einen ebenfalls nackten Menschen in eine Grotte.
    Setner reagierte als Erste. »Ach, das ist die Errettung eines Auferstandenen durch einen Engel. Nichts Besonderes.« Sie winkte ab.
    Faruk ließ sich nicht beirren. »Es ist der einzige Engel auf der Erde, der Rest schwebt im Himmel. Nirgendwo sonst im Mittelteil ist einer zu sehen.« Sein Blick wanderte über das gesamte Werk. »Und das Allerbeste ist, dass er den Erretteten nicht hinaufführt, sondern hinab, in eine Höhle oder etwas Ähnliches. Genauso hat Ezechiel es gesagt.«
    Die Kuratorin schüttelte vehement den Kopf. »Wie Ezechiel glaube ich, dass Bosch ein heimlicher Anhänger der Manichäer war. Die wiederum glaubten, dass der Körper nur Ballast ist, auf der Erde verbleibt und nur die Seele in das Licht der Erlösung reisen kann. Insofern ist es klar, dass der Engel den Körper in das Grab begleitet.«
    Faruk wollte gerade seine