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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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über einen sehr begrenzten Vorrat an Geduld. Cadbury zuckte die Schultern zum Zeichen, dass er nachgab, aber sie starrte ihn weiter an. Er fragte sich schon, ob er sich bereit machen sollte. Dann wandte sie den Kopf ab wie ein Tier, das sich um menschliche Gesellschaft nicht kümmerte, und beobachtete wieder den schlafenden Jungen.
    Eigentlich sind es nicht ihre Augen, die verstören, dachte Cadbury, sondern das, was dahinter liegt. Irgendetwas treibt sie um, aber was, das kriege ich nicht heraus.
    Bei seinem Metier war für Cadbury der Umgang mit Mördern nichts Ungewöhnliches. Schließlich war er ja selbst einer. Er tötete, wenn es von ihm verlangt wurde, selten mit Vergnügen, manchmal mit Widerwillen und in manchen Fällen hatte er sogar Skrupel. Die meisten Auftragsmörder zogen ein gewisses Vergnügen aus ihrem Tun. Auch darin unterschied sich Jennifer Plunkett von den anderen ihres Faches. Sie gab Cadbury nicht den geringsten Anhaltspunkt, was in ihr vorging, wenn sie tötete. Was er beobachtet hatte, als sie die beiden Männer, die IdrisPukke und Cale beschattet hatten und die von den bestochenen Wachsoldaten verhaftet worden waren, vom Leben zum Tode brachte, hatte nichts mit gewöhnlichem Auftragsmord zu tun. Nach ihrer Freilassung waren sie, ohne sich ihrer Rolle als Handlanger bewusst zu sein, in den Wald eingedrungen und hatten etwa eine halbe Meile von Treetops entfernt ihr Lager aufgeschlagen. Ohne ihren Kompagnon in Kenntnis zu setzen – was gegen die beruflichen Sitten verstieß, doch er hatte die Sache auf sich beruhen lassen -, war sie schnurstracks auf die beiden Männer, die gerade beim Teekochen waren, losgegangen und hatte sie erstochen. Dass sie dies so ganz ohne Umstände tat, verblüffte Cadbury. Sie machte das so selbstverständlich wie eine Mutter, die leicht gelangweilt das Spielzeug ihrer Kinder einsammelte. Ehe die Männer überhaupt begriffen, was mit ihnen geschah, waren sie schon am Verbluten. Nach Cadburys Erfahrung mussten sich selbst skrupellose Mörder zum Töten aufreizen. Nicht so Jennifer Plunkett.
    Geräusche vom Flussufer rissen Cadbury aus seinen Gedanken. Der Junge war aufgewacht und rannte nun unter Jubelrufen auf das Flussufer zu. Dort steigerte er seine Rufe in ein helles Kreischen, setzte zum Sprung an, zog die Beine an und landete platschend im Wasser. Gleich darauf schnellte er wieder an die Oberfläche, lachte über das eiskalte Wasser und schwamm mit kräftigen Kraulbewegungen zurück zum Ufer. Nackt wie Adam im Paradies tanzte er schreiend umher und freute sich unbändig über das kalte Wasser und die warme Sommerluft.
    »Herrlich, so jung zu sein«, sagte Cadbury. Die jubelnde Freude des Jungen war einfach ansteckend. Und wie ansteckend sie war, das stellte er jetzt mit Erstaunen fest. Jennifer Plunkett lächelte, ihr Gesicht war verwandelt in das Gnadenbild einer Heiligen. Jennifer Plunkett fühlte Liebe. Als sie bemerkte, dass ihr Kompagnon sie anschaute, flüchtete sie aus dem Paradies, in das der Junge sie geführt hatte. Sie sah Cadbury scharf an wie ein Falke oder eine Wildkatze, dann wanderte ihr Blick zurück zum Fluss.
    »Was glaubst du, was Kitty der Hase mit ihm vorhat?«, fragte sie.
    »Keine Ahnung«, sagte Cadbury, »jedenfalls nichts Gutes. Schade um ihn«, fügte er aufrichtig hinzu. »Der Junge sieht so glücklich aus.« Kaum hatte er das gesagt, da reuten ihn die Worte, doch was er eben gesehen hatte, ließ ihn nicht los. Es war, als hätte man eine Schlange erröten sehen. Das wird dich von der Meinung kurieren, dachte Cadbury, du wüsstest, was in anderen Menschen, vorgeht. Noch ganz verwundert über die unerwartete Wendung, setzte er sich und lehnte sich an den Maulbeerbaum.
    Es dauerte nicht lange, herauszufinden, was in Jennifer Plunkett vorging. Er besaß Grips genug, sich ihr gegenüber schlafend zu stellen und auf alles vorbereitet zu sein. Mit halb geschlossenen Augen fixierte er Jennifers Rücken und hielt sein Messer, die Hand am Heft, unter dem rechten, von ihr weiter entfernten Oberschenkel verborgen. Ganze vierzig Minuten ließ er die Augen nicht von ihrem regungslosen Rücken, im Ohr die wiederholten Jubelschreie des Jungen, das Platschen des Wassers und erneut sein Lachen. Plötzlich drehte sie sich um und kam, das Messer in der Hand, schnurstracks auf ihn zu. Ohne Zögern hob sie die Hand zum tödlichen Stich. Doch er blockte den Angriff mit der Linken ab und stach seinerseits mit dem Messer in der Rechten zu. Die Rasanz,

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