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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sagte sie, während sie Chantal an die andere Brust legte.
    Er kniete sich vor sie hin und nahm ihre Hand. »Du hast diese Situation noch nicht richtig durchdacht«, sagte er. »Denk an Jean-Pierre. Ist dir denn nicht klar, dass er dich wiederhaben will?«
    Jane überlegte. Ellis hatte recht . Jean-Pierre fühlte sich jetzt mit Sicherheit gedemütigt und gleichsam entmannt. Seine Wunden konnten nur heilen, wenn er Jane wieder hatte, in seinem Bett und in seiner Gewalt. »Aber was würde er mit mir tun?« fragte sie.
    »Wahrscheinlich würde er wollen, dass du und Chantal den Rest eures Lebens in irgendeiner sibirischen Bergbaustadt verbringt, während er in Europa spioniert und euch alle zwei oder drei Jahre mal besucht.«
    »Und wenn ich mich weigere?«
    »Er könnte dich zwingen. Oder dich umbringen.«
    Jane erinnerte sich daran, wie sie von Jean-Pierre zusammengeschlagen worden war.
    Eine leichte Übelkeit stieg in ihr auf.
    »Werden ihm die Russen helfen, mich zu finden?« fragte sie.
    »Ja.«
    »Aber warum? Was kann denen an mir liegen?«
    »Erstens sind sie’s ihm schuldig. Zweitens ist ihnen klar, dass sie ihn auf diese Weise bei Laune halten. Und drittens weißt du zu viel . Du kennst Jean-Pierre sehr genau, und du hast Anatoli gesehen; du könntest dem CIA-Computer von beiden eine ausgezeichnete Beschreibung liefern, falls es dir gelänge, nach Europa zurückzureisen.«
    Also würde es noch mehr Blutvergießen geben, dachte Jane. Die Russen würden Dörfer überfallen, Leute verhören und ihre Opfer schlagen und foltern, um herauszubekommen, wo sie sie, Jane, finden konnten. »Dieser russische Offizier … Anatoli heißt er. Der hat Chantal gesehen.« Unwillkürlich presste Jane ihr Baby fester an sich, als sie an den schrecklichen Augenblick zurückdachte. »Ich fürchtete, er werde sie mitnehmen. War ihm denn nicht klar, dass ich mich in dem Fall sofort gestellt hätte, bloß um bei ihr zu sein?«
    Ellis nickte. »Das hat mich auch gewundert. Aber momentan bin ich für die wichtiger als du. Ich glaube, dass er dir, obwohl er am Ende auch dich fassen möchte, vorerst eine andere Aufgabe zugedacht hat.«
    »Eine Aufgabe? Was für eine Aufgabe denn?«
    »Er hofft, dass dein bloßes Vorhandensein meine Mobilität beeinträchtigt.«
    »Indem ich dich dazu veranlasse, hierzubleiben?«
    »Nein, indem du mich begleitest.«
    Sie begriff sofort, dass er recht hatte, und ein Gefühl des Verlorenseins überwältigte sie.
    Sie mussten mit Ellis gehen, sie und ihr Baby, es gab keine Alternative. Wenn wir sterben, dann sterben wir eben, dachte sie fatalistisch. So sei es denn. »Ich werde mit dem Packen anfangen«, sagte sie. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. »Am besten brechen wir gleich morgen früh auf.«
    Ellis schüttelte den Kopf. »Ich möchte in einer Stunde von hier fort sein.«
    Jane geriet in Panik. Sie hatte das Gefühl, dass ihr keine Zeit zum Denken blieb. Sie begann in dem kleinen Haus umherzuhasten, warf Kleidung und Lebensmittel und Medikamente in wildem Durcheinander in eine Reihe von Reisetaschen, getrieben von der Angst, sie könnte irgendetwas Wichtiges vergessen, doch innerlich zu sehr in Hetze, um die Sachen vernünftig einzupacken.
    Ellis erkannte ihren Gemütszustand. Er nahm sie bei den Schultern, küsste sie auf die Stirn und sprach sehr ruhig zu ihr. »Sag mal«, fragte er sie, »weißt du, welcher Berg der höchste in Großbritannien ist?«
    Sie musterte ihn, als sei er nicht ganz bei sich. »Ben Nevis«, sagte sie. »Er liegt in Schottland.«
    »Wie hoch ist er?«
    »Gut eintausenddreihundert Meter.« »Einige der Pässe, über die wir müssen, sind fünf-bis sechstausend Meter hoch - also viermal so hoch wie der höchste Berg Großbritanniens. Bis zu unserem Ziel sind es zwar nur zweihundertfünfzig Kilometer, aber wir werden dafür mindestens zwei Wochen brauchen. Mach deshalb langsam, denke, plane. Wenn du mehr als eine Stunde zum Packen brauchst, so ist das zwar schade - aber allemal besser, als wenn in der Eile die Antibiotika vergessen werden.«
    Sie nickte, atmete tief durch und fing von vorne an. Es gab zwei Satteltaschen, die auch als Rucksack oder Ranzen zu verwenden waren. In die eine packte sie Kleidungsstücke: Chantals Windeln, Wechselunterwäsche für sie alle, Ellis’ wattierte Jacke, den pelzbesetzten Regenmantel samt Kapuze, den sie aus Paris mitgebracht hatte. In die andere Satteltasche packte sie Medikamente und Proviant – eiserne Rationen für den Notfall. Ein

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