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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verblüfft wie sie. Doch in Janes Verblüffung mischte sich Schrecken, als ihr klar wurde, dass sie nicht umhinkommen würde, ihm vom gewaltsamen Tod seines Sohnes zu berichten.
    Ellis gab ihr Zeit, ihre Gedanken zu sammeln, als er in der Dari-Sprache fragte: »Warum bist du hier?«
    »Masud ist hier«, erwiderte Mohammed. Jane begriff, dass dies offenbar ein Guerilla-Versteck war. Mohammed fuhr fort: »Warum seid ihr hier?«
    »Wir wollen nach Pakistan.«
    »Auf diesem Wege?« Mohammeds Gesicht wurde ernst. »Was ist passiert?«
    Jane wusste , dass sie es ihm würde sagen müssen, denn sie kannte ihn länger. »Wir bringen schlechte Nachrichten, mein Freund Mohammed. Die Russen sind nach Banda gekommen. Sie haben sieben Männer getötet – und ein Kind…«
    Mohammed begriff, was sie sagen würde, und der Ausdruck von Schmerz in seinem Gesicht bestürzte sie tief.
    »… Mousa war das Kind«, Schloss sie.
    Mohammed straffte sich. Gesicht und Körper wirkten wie erstarrt. »Wie ist mein Sohn gestorben?«
    »Ellis hat ihn gefunden.«
    Ellis suchte angestrengt nach den richtigen Dari-Wörtern. Er sagte: »Er ist gestorben …
    Messer in Hand, Blut auf Klinge.«
    Mohammeds Augen weiteten sich. »Erzählt mir alles.« Da Jane die Sprache besser beherrschte, war sie es, die jetzt antwortete: »Die Russen kamen im Morgengrauen«, begann sie. »Sie suchten nach Ellis und nach mir. Wir waren oben auf dem Berghang, und so fanden sie uns nicht. Sie schlugen Alischan und Schahazai und Abdullah, doch sie töteten sie nicht. Dann fanden sie die Höhle und die sieben Verwundeten dort, und Mousa war bei ihnen, um zum Dorf hinunterzulaufen, falls sie in der Nacht Hilfe brauchten.
    Nachdem die Russen verschwunden waren, ging Ellis zur Höhle. Alle Männer waren getötet worden, und Mousa auch – «
    »Wie?« unterbrach sie Mohammed. »Wie ist er getötet worden?«
    Jane blickte zu Ellis. Ellis sagte: »Kalaschnikow«, ein Wort, das keiner Übersetzung bedurfte. Er wies auf sein Herz, um zu zeigen, wo die Kugel getroffen hatte.
    Jane fügte hinzu: »Er muss versucht haben, die Verwundeten zu verteidigen, denn an der Klingenspitze seines Messers war Blut.«
    Obwohl Mohammed Tränen in die Augen traten, war sein Stolz unverkennbar. »Er hat sie angegriffen – erwachsene, mit Gewehren bewaffnete Männer -, er trat ihnen mit seinem Messer entgegen! Mit dem Messer, das ihm sein Vater gegeben hatte! Der einhändige Junge befindet sich jetzt bestimmt im Himmel der Krieger.«
    In einem heiligen Krieg zu sterben, war für einen Moslem die allergrößte Ehre, wie Jane wusste . Mousa würde in der Erinnerung so etwas wie ein kleiner Heiliger werden. Jane war froh, dass Mohammed diesen Trost hatte, doch sie konnte einen zynischen Gedanken nicht unterdrücken: Auf diese Weise beschwichtigen kriegsliebende Männer ihr Gewissen
    – durch das Gerede von Ruhm.
    Ellis umarmte Mohammed mit stummer, feierlicher Gebärde. Plötzlich fielen Jane die Fotografien ein, unter denen
    sich auch mehrere von Mousa befanden. Die Afghanen liebten Fotos, und Mohammed würde über ein Bild von seinem Sohn vor Freude außer sich sein. Sie öffnete eine der Taschen auf Maggies Rücken und kramte zwischen den Medikamenten, bis sie die Pappschachtel mit den Polaroidfotos fand. Sie nahm eines mit Mousa heraus, tat die Schachtel wieder in die Tasche und gab das Bild dann Mohammed.
    Nie zuvor hatte sie bei einem Afghanen eine derart tiefe innere Bewegung erlebt. Er war außerstande, auch nur ein Wort hervorzubringen. Für einen Augenblick hatte es den Anschein, er würde in Tränen ausbrechen. Er wandte sich ab und versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Als er sich ihnen wieder zudrehte, wirkte sein Gesicht gefasst , war jedoch feucht von Tränen. »Kommt mit mir«, sagte er.
    Sie folgten ihm durch das Dorf bis zum Rand des Flusses, wo eine Gruppe von fünfzehn oder zwanzig Guerillas um ein Kochfeuer hockte. Mohammed trat zwischen sie und begann ohne Vorrede die Geschichte von Mousas Tod zu erzählen, unter Tränen und mit vielen Gesten.
    Jane wandte sich ab. Sie hatte zu viel Leid gesehen.
    Dann begann sie, sich besorgt umzublicken. Wo finden wir Deckung, falls die Russen kommen? dachte sie. Hier gab es nichts als die Felder, den Fluss und ein paar Hütten.
    Doch Masud schien sich hier sicher zu fühlen. Vielleicht war das Dorf zu klein, um die Aufmerksamkeit der Armee auf sich zu ziehen.
    Jane hatte nicht mehr die Energie, sich noch mehr Sorgen zu machen.

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