Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
Angst. Mehr so ein Gefühl, auf Glatteis zu gehen. Weißt du, zwei meiner besten Freundinnen sind in den letzten Monaten arbeitslos geworden. Die eine hat auch ein Kind. Ich kann hautnah miterleben, wie das abläuft. Da will ich nicht hin, verstehst du! Nicht für mein Kind und nicht für mich!»
«Aber es geht dir nicht gut dabei, nicht wahr?», erwiderte Laura.
Claudia schüttelte wieder den Kopf, legte eine Hand über ihr Gesicht, als versuche sie, ihre Gefühle zu verstecken. «Nein, es geht mir verdammt nicht gut! Aber ich schaff es wenigstens, mein Gesicht zu wahren! Ich mache den Job, so gut ich ihn machen kann! Aber mehr ist nicht! Das mit Essengehen und Antatschen läuft bei mir nicht!»
«Hat er’s versucht?»
«Ich möcht nicht drüber reden!»
«Na ja, dann ist alles klar. Er hat’s versucht, du hast abgelehnt – alles im Rahmen des normalen menschlichen Umgangs. Macht er dir seither das Leben schwer?» Laura versuchte, sachlich zu bleiben, keine Tragödie zu inszenieren. Ihr fielen die Worte ihres Vaters ein, der irgendwann vor ein, zwei Jahren versucht hatte, ihr den Seelenzustand eines Mannes in den Endfünfzigern zu erklären. Es ging damals um einen Mann, der eine junge Frau erwürgt hatte, weil sie sich über ihn lustig gemacht hatte. Er war Abteilungsleiter einer angesehenen Firma gewesen, sie seine Sekretärin.
«Das sind Männer», hatte der alte Gottberg gesagt, «die kurz davor stehen, alt zu werden. Das macht ihnen Angst, totale Panik. Sie schauen ihre alternden Ehefrauen an, ihre Söhne und Töchter, die voll im Saft stehen, dann sich selbst! Das Ergebnis ist das blanke Grauen. Heilen kann diese Wunde nur eine junge Frau, dieses wunderbare Gefühl eine Reaktion zu bekommen, wieder Begehren zu spüren. Wenn solche dringenden verzweifelten Bedürfnisse kein Echo finden, kann das gefährlich werden. Der alternde Mann kämpft um sich selbst. Er muss die Liebe der jungen Frau erobern, sonst ist es aus mit ihm!»
«Mein Gott, bist du immer so dramatisch?», hatte Laura geantwortet.
Sein Blick war dunkel geworden, glitt von ihrem ab, seitlich auf den Boden, und ein tiefer Seufzer hatte sich aus seiner Brust gelöst.
«Es ist so dramatisch, Laura! Ihr Frauen habt manchmal absolut keine Ahnung von Männern!»
Laura hatte nicht gewagt zu fragen, ob er selbst einmal in dieser Situation gewesen war, die er so lebendig zu beschreiben wusste.
«Nein, er macht mir das Leben nicht schwer! Er ist nur genau darauf bedacht, dass ich mir keinerlei Verfehlungen leiste. Das ist beunruhigend genug», sagte Claudia heftig.
«Was?» Laura hatte Mühe, aus ihren Gedanken zurückzukehren. «Ach so, fühlt sich an wie Überwachung, nicht wahr?»
«Eher wie Bedrohung!» In Claudias Stimme lag ein Anflug ihrer alten Fähigkeit zur Ironie.
«Er kann dir nichts anhaben, Claudia. Vergiss diese Angst! Geh jetzt nach Hause zu deiner Kleinen!»
«Wetten, dass er reinkommt, wenn ich weg bin! Und er schreibt sich’s auf. Jede Stunde, die ich seiner Ansicht nach zu wenig arbeite! Da bin ich ganz sicher!»
«He, Claudia! Das klingt ja wie Verfolgungswahn. Passt überhaupt nicht zu dir. Du gehst jetzt, und ich warte auf den Kriminaloberrat. Wenn er fragt, wo du steckst, dann sage ich ihm, dass du in meinem Auftrag unterwegs bist.»
«Machst du das wirklich, Laura?»
«Klar!»
«Danke!» Ein Lächeln zuckte um Claudias Mundwinkel, vertiefte das Grübchen in ihrer linken Wange. Sie griff nach Jacke und Tasche und war schon fort.
Laura schlenderte nachdenklich durch das Großraumbüro, das Claudia mit Peter Baumann und einem Kollegen teilte, der gerade von der Polizeischule gekommen war und bisher für den Kleinkram eingesetzt wurde. Durch die großen Glaswände konnte sie in die anderen Abteilungen schauen und dachte, dass all diese Kästen nebeneinander wie Aquarien aussahen. Aquarien mit Grünpflanzen. Fehlten nur die aufsteigenden Luftblasen und Fische, die sich langsam treiben ließen. Um diese Zeit waren die Glaskästen ziemlich leer. Nur hin und wieder bewegte sich jemand darin, telefonierte, trank Kaffee, sprach mit einem Kollegen.
Laura setzte sich auf Kommissar Baumanns Schreibtisch, griff nach seinem Telefon und wählte seine Handynummer.
Er meldete sich schnell, war schon auf dem Rückweg ins Präsidium. Laura wartete. Auf Kriminaloberrat Becker und auf Peter Baumann. Ganz still saß sie auf dem Schreibtisch, die Augen halb geschlossen.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ihren
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