Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
auf, nahm das Glas aus Lauras Hand und trank sehr langsam.
«Es geht schon», flüsterte sie. «Aber ich hab so Angst! Angst ist schlimmer als Schmerzen, Laura. Ich will immer schlafen. Dann keine Angst.»
«Du hast Angst vor deiner Familie, nicht wahr?» Laura strich Ülivia die feuchten Locken aus der Stirn.
«Ich weiß nicht, was machen! Ich will sie nicht sehen! Ich soll heiraten und sie mich schlagen, weil Angst, dass mein Bräutigam mich nicht nimmt. Aber ich will den nicht! Ich hab noch nie gesehen, nur Foto. Er sieht aus wie mein Bruder! Ich will nicht Mann, der aussieht wie mein Bruder!» Ülivias Stimme war immer lauter und verzweifelter geworden, ihre Hände zitterten. Sie verschüttete ein bisschen Wasser, gab Laura das Glas zurück und drehte das Gesicht in die Kissen.
«Wir sprechen mit ihnen, Ülivia. Wir versuchen eine Lösung zu finden. Am besten, du schläfst jetzt wieder und denkst nicht daran.»
«Aber ich denke die ganze Zeit!» Ülivias Stimme war kaum hörbar.
«Hör auf damit! Es hilft ja nichts. Denk daran, dass du in Sicherheit bist und dein Riza auch!»
«Wo ist Riza?» Ülivia wandte Laura ihr Gesicht zu. Ihre Augen schienen übergroß. Antilopenaugen, dachte Laura.
«Ich habe ihn heute Morgen getroffen und ihm gesagt, dass er zu einem Freund ziehen soll, bis die Situation wieder geklärt ist.»
«Was hat gesagt, Laura. Hat was gesagt über mich?» Die dunklen Augen sahen Laura so intensiv an, dass sie den Blick abwandte.
«Er lässt dich grüßen. Er war sehr besorgt! Er ist wirklich ein sehr netter junger Mann.» Laura log, um Ülivia ein bisschen Hoffnung zu geben.
«Ja, sehr lustig auch!» Tränen liefen plötzlich über die Wangen der jungen Frau. «Ich will Mann, der lustig. Ich lache gern!» Ihre Tränen flossen jetzt in Strömen.
«Wer hat euch eigentlich entdeckt, dich und Riza?»
«Meine Schwester.»
«Deine Schwester?» Laura war fassungslos. «Bist du sicher? Deine Schwester ist doch selbst mit einem Mann weggelaufen. Wieso verrät sie dich?»
Ülivia presste ein Papiertaschentuch vors Gesicht. «Weil Riza Kurde ist. Das ist ganz schlimm, wenn Kurde. Sind die Leute, die immer Krieg führen gegen uns Türken!»
«Na ja, das kann man auch umgekehrt sehen», entfuhr es Laura. «Und deshalb verrät sie dich? Lässt zu, dass du geschlagen wirst?»
«Ja, weil hat Angst um mich. Denkt, dass Kurde mich nur mag, weil Rache will an Türken. Aber Riza ist anders. Ist nicht so ein Kurde.» Ülivia umarmte die Bettdecke und presste sie fest an sich. Unbewusst stieß sie mit einem Bein, war auch mit ihrem Körper gänzlich gefangen in dieser unauflöslichen Lage.
«Und du hast keine Angst vor Kurden?», fragte Laura, kam sich dumm und hilflos vor angesichts dieser schwierigen Verflechtungen.
«Doch, hatte schon Angst. Aber Riza ist anders. Nicht gefährlich. Ganz nett. Wirklich! Nie gefährlich, nie frech!»
Trotz ihrer Erschütterung musste Laura lächeln. Nie gefährlich, nie frech! Ülivia war über eine Grenze gegangen, war ungeheuer mutig und neugierig gewesen. Laura hätte sie am liebsten geküsst. «Du kannst ihn ja anrufen!», sagte sie stattdessen und drückte Ülivia ihr Telefon in die Hand. «Kennst ja seine Handynummer.»
Laura kehrte in die Küche zurück, trank jetzt doch ein halbes Glas Rotwein und fühlte sich bereits nach dem ersten Schluck beschwipst.
Abendessen. Sie hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, dass der Kühlschrank ziemlich leer war. «Bitte geht einkaufen!», sagte sie deshalb mit sanfter Stimme zu Sofia und Ronald. «Hier sind 40 Euro. Lasst euch was einfallen!»
Vater und Tochter zogen fröhlich davon, während Laura sich in die offene Balkontür setzte und den Frühlingsabend überhaupt zum ersten Mal wahrnahm. Der zarte Duft junger Blätter war selbst in diesem Hinterhof spürbar. Laura ließ einen winzigen Schluck Barolo über ihre Zunge rinnen, dachte, dass sie Angelo Guerrini eigentlich absagen müsste. Es war kein günstiger Zeitpunkt für ihn, jetzt, wo Ronald gerade zum Superstar auflief. Aber dann dachte sie an die Cabuns, die alle gemeinsam geschworen hatten, dass kein Cabun jemals den schwarzen Freund Valerias angreifen würde. Keiner von ihnen hätte den Namen oder die Adresse gewusst, es hätte ja auch keinen Grund gegeben, den Freund zu schlagen. Diesmal waren sie nicht wie eine Welle auf Laura und Baumann zugeschwappt, sondern hatten dagestanden wie eine Mauer, ehern und ohne Lücke. Laura legte die Beine auf einen
Weitere Kostenlose Bücher