Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
irgendwelche türkischen Seifenopern mit sehr blond gefärbten üppigen Frauen und sehr dunklen Männern. Es war unerträglich heiß im Zimmer und sehr verraucht, obwohl Laura mehrmals die Fenster aufgerissen hatte.
Inzwischen war sie so müde, dass sie den Verhandlungen kaum noch folgen konnte. Sie hatte auch keine Lust mehr, keine Geduld, keine Diplomatie, mit der Ronald übrigens auch nicht weiterkam.
Ehe ich hier einschlafe, muss ich etwas machen, dachte sie. Ich werde jetzt einfach mal die Sprache versuchen, die meine lieben Nachbarn offensichtlich gewöhnt sind.
«Ich mache einen Vorschlag! Und es ist mein letzter», sagte sie und stand auf. «Ich werde einen Vertrag aufsetzen, und Sie unterschreiben, dass Sie Ülivia nicht mehr misshandeln. Was die Heirat angeht: Wenn Sie mit Ülivia darüber reden, muss eine neutrale Person dabei sein. Also entweder ich oder mein Mann …» Laura stockte einen Augenblick, hatte sie wirklich «mein Mann» gesagt? Sie schüttelte leicht den Kopf und fuhr fort: «Außerdem wird Ülivia nur dann zu Ihnen zurück in die Wohnung kommen, wenn sie selbst damit einverstanden ist. Und ich warne Sie alle vor jeglicher Form von Gewalt!»
Der letzte Rest von Ibrahim Özmers Hemd ging in Fetzen. Seine Frau eilte herbei und half ihm in ein frisches.
Ich halte das nicht mehr aus, dachte Laura und ging entschlossen zur Tür. Ronald folgte ihr, heftig auf dem Pfeifenstiel kauend. Sie verbeugten sich beide vor den Anwesenden, die in der rauchigen Luft seltsam unscharf aussahen.
«Ich denke, Hauptkommissarin Gottberg hat Recht», sagte Ronald. «Den Vertrag bekommen Sie morgen früh.»
Er hat nicht «meine Frau» gesagt, dachte Laura. Hoffentlich hat er meinen Ausrutscher nicht gehört. Aber sie wusste, dass Ronald ihn natürlich gehört hatte. Bei all seiner Unzuverlässigkeit war er doch ein guter Journalist, der auch Zwischentöne sehr genau registrierte, was seinen Artikeln eine besondere Note gab. Rückwärts gehend, sich noch mehrmals verbeugend, erreichten sie endlich den Flur.
«Was passieren?», fragte Ülivias Mutter mit angstvoll aufgerissenen Augen, griff nach Lauras Händen, hielt sie sehr fest.
«Ich weiß es nicht, Safira», antwortete Laura müde, löste ihre Hände und ging weiter. Neben der Wohnungstür lehnte Ülivias Schwester. Sie sah Laura nicht an, hielt den Kopf gesenkt, verharrte reglos. Als Laura nach der Türklinke griff, machte sie eine kaum wahrnehmbare Bewegung.
«Wie geht es Ülivia?», flüsterte sie.
«Nicht besonders gut, das kannst du dir denken!» Laura blieb neben ihr stehen. «Da hast du was Schönes angerichtet, Harun! Wie kommst du dazu, deine Schwester zu verraten? Wo du genau all das selbst durchgemacht hast! Warum, Harun? Warum?»
Harun senkte den Kopf noch tiefer. Das Haar fiel locker über ihr Gesicht, denn im Gegensatz zu den anderen Frauen trug sie kein Kopftuch, sondern eine lockige halblange Frisur. Harun war groß, sogar ein bisschen größer als Laura.
«Weil Kurde», stieß sie hervor. «Du nicht verstehen, Laura. Mein Cousin wurde erschossen von Kurden, ein Onkel auch! Ist gefährlich mit Kurden. Ülivia verrückt geworden, oder?»
«Meine Güte, Harun! Kurden sind Menschen wie alle anderen. Hast du mal darüber nachgedacht, wie viele Kurden von türkischen Soldaten erschossen wurden?» Laura wusste, dass es sinnlos war. Vielleicht konnte sie später mit Harun darüber reden, vielleicht auch nicht.
«Kann ich meine Schwester sehen? Ich möchte sie so gern sehen …»
«Heute Nacht jedenfalls nicht mehr. Ich werde sie fragen, ob sie dich sehen will. Jetzt schläft sie, und wir sind auch müde!» Laura öffnete die Tür, trat endlich hinaus aus dieser Wohnung, die ihr nicht nur des Rauchs wegen das Atmen schwer machte.
Auf der anderen Seite des Hausflurs konnten sie wieder Luft holen, hatten solchen Hunger nach Sauerstoff, dass sie sich nebeneinander auf den kleinen Balkon stellten. Ronald füllte den Rest des Barolos in zwei Gläser.
«Es ist kein berauschender Sieg, aber immerhin gibt es bisher außer einem zerrissenen Hemd keine Folgeschäden!» Er prostete Laura zu, stieß mit ihr an, wirkte beinahe übermütig. In Laura löste sein Verhalten Alarmsignale aus. Sie lehnte sich an die raue Hauswand, versuchte sich zu entspannen. Die Hinterhöfe lagen in tiefer Dunkelheit, nur aus einem einzigen Fenster des Nachbarhauses drang noch ein Lichtschein. Hinter prallen Wolken, deren Ränder silbern leuchteten, versteckte sich ein
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