Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
und als kurz darauf die Sonne wieder durch die Wolken brach, stiegen feine Dämpfe von Straßen und Dächern auf. Eine fast dramatische Stimmung legte sich über die Stadt, das grelle Sonnenlicht ließ die Wolken beinahe schwarz erscheinen, die dampfenden Häuser erstrahlten golden, wie von Scheinwerfern beleuchtet.
«Und jetzt?», fragte Baumann, als sie den Wagen im Innenhof des Polizeipräsidiums abgestellt hatten.
«Jetzt warten wir. Irgendwie geht die Geschichte schon weiter. Jemand wird nervös, Havel findet noch ein paar interessante Hinweise … Ich wäre ganz froh, wenn ein paar Tage lang nichts passieren würde. Immerhin ist in drei Tagen Ostern, und ich habe keinen Dienst.»
«Was gar nichts bedeutet, liebe Laura.»
«Ich weiß, aber wenn wir Glück haben, dann kommt niemand auf den Gedanken, einem Mitmenschen ans Leder zu wollen.»
«Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering!» Baumann hielt Laura die Tür auf, ging hinter ihr zum Fahrstuhl. «Außerdem müssen wir uns wirklich noch einmal mit dem Protokoll befassen, das du geschrieben hast.»
In der Liftkabine roch es so stark nach Schweiß, dass Laura ein bisschen übel wurde und Baumann sich die Nase zuhielt. Als sie endlich im vierten Stock ankamen, wollte Laura gleich in ihr Büro, doch Claudia winkte durch die Glaswand.
«Havel war gerade da. Ihr sollt ihn sofort anrufen. Scheint wichtig zu sein.»
«Es geht mir zu schnell! Ich wollte jetzt eigentlich meine Ruhe haben und über diesen komplizierten Fall nachdenken.» Laura betrachtete missmutig ihre Schuhe.
Ein paar Minuten lang blieb sie am Fenster stehen und schaute auf die Türme des Liebfrauendoms, die vor Nässe glänzten. Ein Taubenschwarm umkreiste zweimal den linken Turm, ließ sich dann auf dem Dach des Kirchenschiffs nieder. Irgendwo draußen knallte es, und die Vögel stoben davon, eine schnelle flatternde Wolke.
Laura drehte sich um und griff nach dem Telefon, wählte Havels Nummer.
«Was gibt’s?»
«Interessante Neuigkeiten, Laura.» Havels tschechischer Akzent erschien Laura am Telefon noch stärker als sonst.
«Mach’s nicht so spannend.»
«Das Mädchen ist mit Sicherheit aus dem Fenster in dieser Wohnung gestürzt. Wir haben das nachgemessen, und jetzt stimmt die Falllinie hundertprozentig mit dem Fundort überein. Du erinnerst dich doch, dass die Wohnung sehr aufgeräumt war … Wir hatten darüber gesprochen.»
«Ja, natürlich erinnere ich mich!»
«Sie war aber gar nicht so aufgeräumt – jedenfalls nicht so sauber, wie sie aussah. Im Bett haben wir jede Menge Haare gefunden und auf dem Teppich verwischte Blutspuren. Man konnte sie nicht sehen, weil der Teppich rot ist. Es wird ein, zwei Tage dauern, bis wir die DNA mit der von Malenge und dem Mädchen vergleichen können.»
«Hast du denn eine Vergleichsprobe von Malenge?»
«Natürlich. Da war genügend Blut auf dem Bürgersteig!»
Laura schwieg.
«Bist du noch da?»
«Ja», entgegnete sie langsam.
«Gefällt dir nicht, die Sache, was?»
«Nein, gefällt mir überhaupt nicht.»
«Ich finde, jetzt wird es interessant!» Havel lachte leise. «Lass dir was einfallen, Laura!»
«Ich werd’s versuchen. Ciao!»
Langsam ließ Laura sich auf ihren schwarzen Ledersessel sinken. Auch ohne das Ergebnis des Gentests war sie überzeugt, dass die Haare und Blutspuren von Roberto Malenge und Valeria stammten. Damit würde sich der Verdacht gegen den jungen Afrikaner erhärten. Sie konnte sich bereits Kriminaloberrat Beckers befriedigte Miene vorstellen, kannte auch den latenten Rassismus mancher ihrer Kollegen.
Was aber hatten Valeria und Roberto Malenge mit dieser Luxusabsteige zu tun? Es passte nicht zu ihnen. Andererseits hatte Laura viele Erfahrungen mit völlig unvorstellbaren Geschichten hinter sich. Vielleicht war diese Wohnung ihr geheimer Treffpunkt, vielleicht hatte Malenge Bekannte im zweifelhaften Milieu.
Seufzend stand Laura auf, griff nach ihrer Jacke und verließ ihr Büro. Baumann war zum Glück nicht zu sehen, so sagte Laura nur Claudia Bescheid, dass sie nochmal fortmüsse.
«Schwierigkeiten?», fragte die Sekretärin.
«Kann man sagen. Ich möchte der Sache aber erst mal allein nachgehen. Sag Baumann, dass ich in einer Stunde zurück bin.»
Claudia nickte und sah Laura besorgt nach.
Er hatte noch immer diesen nach innen gerichteten Blick, zeigte keine Reaktion, weder Erstaunen noch Erschrecken. Seine Augen schienen durch Laura hindurchzusehen, auf etwas gerichtet zu sein, das nur für
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