Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
ihn sichtbar war.
«Ich muss etwas von Ihnen wissen», sagte Laura. «Es ist wichtig, Roberto!»
Er schüttelte ganz leicht den Kopf.
«Roberto! Waren Sie mit Valeria jemals in einer Wohnung in der Herzogstraße? Haben Sie sich dort mit ihr getroffen?»
Seine Augen weiteten sich kaum merklich. «Wir hatten keinen Platz für uns. Nur mein Zimmer. Welche Wohnung?»
«Eine schöne Wohnung, Roberto. Mit roten Wänden und roten Teppichen, einer schwarzen Küche und seidener Bettwäsche.»
Er fröstelte plötzlich, schloss die Augen.
«Roberto!» Laura legte die Hand auf seinen Arm. «Es ist wichtig!»
«Lassen Sie mich in Ruhe!» Er sprach so leise, dass Laura ihn kaum verstand. «Gehen Sie und lassen Sie mich in Ruhe!»
«So hat das keinen Sinn, Roberto. Sie sind nicht so schwer verletzt, dass Sie nicht antworten könnten. In der Wohnung wurden viele Spuren gefunden, die jetzt auf Genmaterial untersucht werden. Falls Sie in der Wohnung waren, wird es herauskommen.»
Malenge öffnete seine Augen nur halb. «Und wenn ich nicht in der Wohnung war, aber trotzdem Spuren von mir gefunden werden, was dann? Niemand wird mir glauben, das wissen Sie genau. Wahrscheinlich werden auch Sie mir nicht glauben … einfach, weil ich schwarz bin. Schwarze sind immer schuldig – überall auf der Welt. Also lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!»
«Verdammt nochmal!» Laura stand auf und begann im Krankenzimmer umherzugehen. «Ich weiß, dass es schwer ist, gegen Vorurteile und Diskriminierungen anzuleben. Aber Sie verbarrikadieren sich gerade dahinter, und das führt zu gar nichts! Wie kommen Sie darauf, anzunehmen, dass Genmaterial von Ihnen in der Wohnung gefunden wird, obwohl Sie nicht da waren?»
Ein winziges verächtliches Lächeln huschte über sein Gesicht, und er machte seine Augen ein bisschen weiter auf.
«Ich bin Arzt, Kommissarin. Verbrecher haben heute viele Möglichkeiten, ihre Taten anderen in die Schuhe zu schieben. Wenn sie klug genug sind, jedenfalls.»
«Möglich. Sie bleiben also dabei, dass Sie nie in dieser Wohnung waren? Aber was könnte Valeria Cabun dort gemacht haben? Fällt Ihnen vielleicht dazu etwas ein?»
Malenge drehte den Kopf zur Seite, starrte die Wand an. «Nein, mir fällt dazu überhaupt nichts ein. Würden Sie jetzt bitte gehen?»
Laura ging, blieb auf dem leeren Flur kurz stehen und dachte über Malenges Worte nach. Sie ergaben einen gewissen Sinn und trafen sich mit Havels Gedanken. Andererseits fühlte Laura sich von Robertos Hinweis auf die ewig schuldigen Schwarzen manipuliert – es gab eben schuldige und unschuldige Schwarze, wie es auch schuldige und unschuldige Weiße gab.
Und wie stand es mit ihren Vorurteilen? Bisher war sie der Überzeugung gewesen, frei davon zu sein. Hatte die Eigenheiten der verschiedenen Hautfarben und Religionen gegeneinander aufgewogen, konnte keine wesentlich schlimmer als die andere finden. Ihre Kriterien der Beurteilung waren Intoleranz, Hass und Unterdrückung. Aber die fand sie ziemlich gleichmäßig über die Erde verteilt.
Trotzdem hatte Malenge natürlich Recht. Falls seine DNA in der ominösen Wohnung nachgewiesen wurde, bedeutete es mit Sicherheit seine Festnahme. Kriminaloberrat Becker würde darauf bestehen. Er war einer von denen, die an die Unfehlbarkeit von Gentests glaubten. Ihm war noch nie der Gedanke gekommen, dass sich damit auch ganz neue Möglichkeiten für Verbrecher auftaten.
Laura beschloss, nach Hause zu fahren. Es war Mittwochnachmittag, vier Uhr. Vom Wagen aus rief sie Baumann an, der nicht sehr begeistert von ihrer Flucht war.
«Wir müssen dieses Protokoll durchgehen, Laura, sonst kommen wir in Teufels Küche!»
«Kein Schwein wird dieses Protokoll noch vor Ostern ansehen, das garantiere ich dir», entgegnete Laura.
«Aber nach Ostern, und dann ist es immer noch nicht da!»
«Wir können es morgen machen. Ich glaube nicht, dass sich im Fall Valeria Cabun in den nächsten Tagen etwas tun wird. Die Denners brüten vor sich hin, Malenge liegt noch im Krankenhaus, und die Cabuns werden zu Ostern wieder zu Hause sein. Dr. Reiss meint, dass wir die Leiche freigeben können.»
«Na gut, dann viel Spaß mit deiner türkischen Tragödie. Ich hätte dich zum Essen eingeladen, und dabei hätten wir das Protokoll durchgehen können.»
«Heute Abend hätte ich sowieso keine Zeit gehabt, Peter. Der hoffentlich letzte Akt der türkischen Tragödie steht an. Ich kann das nicht meiner Nachbarin überlassen. Die hat keine
Weitere Kostenlose Bücher