Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
absoluten Lieblingsplätze», hatte Laura angekündigt. Eigentlich wollte sie Sofia und Luca mitnehmen und auch ihnen diese Plätze zeigen, die ein Teil ihres Lebens waren. Doch ihre Kinder hatten sich noch immer nicht gemeldet, und Laura beließ es dabei.
«Unter bestimmten Umständen.» Guerrini lehnte sich in den Autositz zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
«Welchen?»
«Seltsame Todesfälle, alte Häuser, England.»
«Klischees!», murrte Laura. «Fällt dir nichts zu Italien ein?»
«Mir ist noch kein Geist begegnet. Ein italienischer, meine ich.»
«Siena sieht aber so aus, als könnten da eine Menge Geister wohnen.»
«Meine Großmutter konnte Geister sehen. Jedenfalls behauptete das meine Mutter. In bestimmten Nächten sammeln sie sich angeblich auf dem Campo. Aber nur Menschen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten sehen sie oder spüren ihre Anwesenheit.»
«Was sind das für Geister?» Laura bremste vor einer roten Ampel hinter dem Maximilianeum. «Warte! Das hier ist das Märchenschloss meiner Kindheit. Vater zeigte es mir immer nur von vorn. Heute weiß ich, dass es von hinten aussieht wie ein ganz gewöhnliches, hässliches Bürogebäude.»
«Warst du enttäuscht?» Angelo betrachtete die nüchterne Rückseite des angeblichen Märchenschlosses.
«Ziemlich. Aber mein Vater meinte, dass es ein Symbol für die meisten Dinge im Leben sei. Man müsse stets die Vorderseite fest im Augen behalten, aber gleichzeitig um die Rückseite wissen!»
Angelo lachte. «Ich freue mich sehr auf deinen Vater. Seltsam, dass er nicht Italiener ist. Bei uns ist es grundsätzlich besser, wenn man die Fassaden fest im Blick behält. Um die Rückseiten weiß jedes Kind!»
«Hat das etwas mit der Melancholie der Italiener zu tun?» Laura lächelte ihm zu. Er beugte den Kopf zur Seite, und Lauras Blick blieb kurz an seinem kräftigen Hals hängen. Ich liebe sogar seinen Hals, dachte sie verwirrt. So etwas ist mir noch nie passiert.
«Es hat sicher etwas mit der Melancholie vieler Italiener zu tun», antwortete er leise. «Aber nur insofern, als die meisten in einer geradezu historischen Dimension wissen, dass sie ihr Leben lang in den Hinterhöfen bleiben.»
«Klingt weise. Hier setzen die Leute eher auf einen Lottogewinn und schauen lieber nicht hinter die Fassaden. Aber um auf die Geister zurückzukommen: Was sind das für Geister, die deine Großmutter auf dem Campo gesehen hat?»
Angelo Guerrini legte eine Hand leicht auf Lauras Oberschenkel, leicht, nicht plump vertraulich, und sie liebte ihn auch für diese Leichtigkeit.
«Angeblich sind es die vielen Opfer der mörderischen Machtkämpfe zwischen den herrschenden Familien.»
«Familien», wiederholte Laura. «Familien!» Sie bremste, fuhr halb auf den Bürgersteig, griff nach ihrem Handy und war kurz darauf mit Peter Baumann verbunden.
«Sag mal! Sind die Cabuns eigentlich abgereist?»
«Soweit ich weiß, ja! Valerias Leiche wurde freigegeben und nach Hause geschickt. Die Cabuns sind mitgefahren.»
«Alle?»
«Ja, sicher!»
«Vor dem Überfall auf Denner?»
«Ja, vorher. Was ist denn los?»
«War nur so ein Gedanke. Ich habe gerade mit Denner gesprochen. Er ist überzeugt, dass Valeria ihn mit dem Messer angegriffen hat.»
«Valeria Cabun?»
«Ja, Valeria Cabun! Und für mich klingt es nicht nach einer Wahnvorstellung.»
«Na ja … zumindest eins ist sicher. Roberto Malenge sieht nicht im Entferntesten aus wie Valeria Cabun.»
Der Rest des Tages verlief ungestört, obwohl Laura ab und zu dachte, dass sie eigentlich Frau Denner fragen müsste, warum sie leugnete, den Namen Valeria zu kennen. Als sie gegen Abend in Lauras Wohnung zurückkehrten, begegnete ihnen im Treppenhaus Ülivias Vater. Er wusste nicht, wohin er schauen sollte vor lauter Verlegenheit, nachdem er Guerrini blitzschnell taxiert hatte.
«Das ist ein Kollege», stellte Laura vor, doch Ibrahim Özmer reagierte nicht.
«Wie geht es Ülivia?»
«Gut! Sehr gut!» Er lachte das Treppengeländer an.
«Kann ich sie sehen?»
«Ja, sehen! Immer! Nur läuten. Frau zu Hause mit Ülivia.»
«Gut, dann auf Wiedersehen.»
Als Laura die Wohnungstür hinter sich und Angelo geschlossen hatte, stieß sie einen kleinen Schrei aus.
«Jetzt», sagte sie, «ist mein Ruf endgültig ruiniert. Die geschiedene Polizistin hat einen Freund, empfängt Männerbesuch in ihrer Wohnung.»
Angelo brach in Gelächter aus und küsste sie in den Nacken. Auf dem Küchentisch fanden sie eine
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