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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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sich zwischen ihr und Aynur ein flacher Tisch aus Zedernholz
befand, denn die Herrin des Gutes hatte sie sehr kühl, fast schon unhöflich
empfangen. Jetzt thronte sie auf der anderen Seite des Tisches, ihre Söhne
demonstrativ um sich geschart. In einem Stuhl in einer Ecke kauerte die
beängstigendste Gestalt: Eine uralte Schwarze, die gichtigen Finger wie Krallen
in die Lehnen gebohrt und Emily unablässig fixierend. André hatte sie als Tamra
vorgestellt, Aynurs Dienerin, die auf dem Gut ihren Lebensabend verbrachte.
Trotzdem gruselte Emily sich beim Anblick der fast kahlen, immer wieder
unfreundlich vor sich hinknurrenden Alten.
    Das Esszimmer auf Qasr el Bahia war nicht wie
das Zuhause in Mogador europäisch möbliert. Hier gab es niedrige Sofas mit
farbigen Überwürfen. Auf dem mit blauen, grünen und roten Fliesen gekachelten
Boden lag ein Teppich aus heller Wolle, in Mauernischen standen Schalen mit
duftenden getrockneten Blüten, geschmiedete Lampen warfen flackernde Muster an
die weiß gekalkten Wände. Die bogenförmigen Fenster waren ungewöhnlich groß für
ein Berberhaus und hatten vornehme bunte Glasscheiben, die noch vom
Vorbesitzer, dem verstorbenen Sultan Moulay Abd Er Rahman stammten.
    In der Feuerstelle knackten Holzscheite, die
Alte auf ihrem Stuhl brummelte vor sich hin. Sonst herrschte gespannte Stille.
Aynur saß sehr gerade auf dem Sofa. In einer bestickten Bluse, einem weiten
bunten Rock und mit ihrem üppigen Silberschmuck erinnerte sie Emily an eine
hübsche Puppe, wären da nicht die zusammengepressten Lippen und die kaum
verhohlene Feindseligkeit in den braunen Augen gewesen.
    Aber Emily war entschlossen, sich nicht
einschüchtern zu lassen. Die entschiedene Haltung und das strenge Gebaren
Aynurs waren Emily von ihrer Mutter her nur zu vertraut. Und wenn sie ihrer
Mutter die Stirn geboten hatte, würde ihr das auch bei dieser Frau gelingen.
    Die Tür zum Esszimmer wurde geöffnet, und
Emilys Halbschwester Malika kam herein, gefolgt von zwei schwarzen Dienerinnen.
Die Frauen trugen Platten mit dampfendem Couscous, frischem Fladenbrot und
Schüsseln, aus denen es verführerisch nach Minze, Honig und Zitrone duftete.
    Malika sah aus wie eine jüngere Ausgabe ihrer
Mutter, so klein und zierlich, dass Emily sich wie eine Riesin fühlte. Ihre
Haut schimmerte wie Honig, und ihr glänzendes pechschwarzes Haar reichte bis zu
den Hüften. Wenn sie sich bewegte, klingelten die silbernen Reife, die sie an
beiden Armen trug. Wie ihre Mutter war sie in eine Tunika, einen weiten
wadenlangen Rock und weiche Lederstiefel gekleidet und erinnerte Emily an die
Tänzerin auf der Spieluhr, die ihre Großmutter Mary ihr vor Jahren aus England
geschickt hatte.
    Malika stellte die schwere Platte mit dem
Couscous anmutig auf den Tisch und warf Emily einen neugierigen Blick aus ihren
wunderschönen Khol-umrandeten Augen zu. Emily mochte sie und ertappte sich bei
dem Wunsch, dass sie nicht nur Schwestern, sondern Freundinnen würden.
    Auf einen Wink von Aynur verließen die
Dienerinnen den Raum. André legte einen Arm um Emilys Schultern und räusperte
sich.
    „Meine liebe Familie, ihr fragt euch sicher,
wer der Gast ist, den ich mitgebracht habe.“
    „Ich hoffe, die Ehefrau, die du für mich
ausgesucht hast“, fiel Frédéric ihm vorwitzig ins Wort.
    Emily wurde rot, Aynur zischte etwas
Unverständliches, und André schüttelte lachend den Kopf. „Ich muss dich
enttäuschen, Sohn, aber deine Braut darfst du dir selbst aussuchen. Nun, ich
will euch nicht länger auf die Folter spannen…“ Er blickte Aynur an und nickte
ihr unmerklich zu. „Diese junge Frau hier ist meine Tochter Emily. Ich kenne
sie schon sehr lange, aber erst vor ein paar Tagen habe ich erfahren, dass sie
meine Tochter ist. Sie hat mich gefragt, ob sie einige Zeit bei uns leben darf,
und ich möchte, dass ihr sie hier willkommen heißt. Qasr el Bahia ist von nun an genauso ihr
Zuhause wie eures!“
    Im Raum war es so still, dass man eine
Stecknadel hätte fallen hören können. Dann stieß die Alte in ihrer Ecke einen
pfeifenden Laut aus, als würde ihr alle Luft entweichen.
    Emily blickte unsicher zu Aynur. Die Frau
ihres Vaters hatte sich eine Hand vor den Mund geschlagen. Ihr Gesicht drückte
Überraschung aus, Schmerz und gleichzeitig Erleichterung. Feindselig sah sie
jedenfalls nicht mehr aus, und Emily fühlte, wie ihre Zuversicht zurückkehrte.
    Malika stand als Erste auf. Mit
ausgebreiteten Armen kam sie auf Emily zu und küsste

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