Die Loewin von Mogador
kann. Ohne dich hätte ich meine anderen wundervollen Kinder nicht,
und Qasr el Bahia wäre nicht zu dem geworden, was es heute ist. Glaubst du, das
könnte ich je vergessen?“
Besänftigt legte sie ihre Wange an seinen
Brustkorb. „Ich glaube dir, Liebster. Deiner Tochter soll es hier an nichts
fehlen. Verzeih mir, dass ich ihr gegenüber die heiligen Gesetze der
Gastfreundschaft verletzt habe! Es wird nicht wieder vorkommen.“
Er hob ihr Kinn mit einer Hand an und küsste sie.
Sie nestelte an seinem Hemd und zog es ihm über den Kopf. Dann kniete sie sich
hinter ihm auf das Bett und begann, ihn zu massieren. „Dein Rücken ist hart wie
Stein. Er muss dir wehtun, Liebster. Aber ich werde den Schmerz wegmachen.“
Er beugte seinen Kopf vor und gab sich ihren
gleichmäßigen kräftigen Berührungen hin. „C’est merveilleux. Du hast
Zauberhände, Aynur.“
Sie beugte sich über ihn. Er spürte die Wärme
und Sinnlichkeit ihres Körpers und merkte, wie erregt er trotz seiner Müdigkeit
wurde. Ihre Hände glitten über seine Brust und seinen Bauch, schlüpften in
seinen Hosenbund und umfassten sein Glied. „Du willst mich“, stellte sie
zufrieden fest.
Statt einer Antwort drehte er sich um und
drückte sie sanft auf die Matratze.
Mogador, Ende April 1861
Stille senkte sich über die Menschenmenge vor
dem Bab Doukala, als der Trauerzug sich dem Stadttor näherte. Vorn schritten
die vier Sargträger, die eine einfache aus Brettern gezimmerte Kiste mit dem
Leichnam Samuel Toledanos auf den Schultern balancierten. Dahinter kamen die
Trauernden. An ihrer Spitze ging der Rabbi, gefolgt von Aaron Toledano, dem
ältesten Sohn und neuen Familienoberhaupt der Toledanos von Mogador, der Witwe,
die von ihren Töchtern gestützt wurde, und der restlichen Familie. Dahinter schritten
weitere Verwandte, Freunde, Geschäftspartner und Nachbarn aus der jüdischen
Gemeinde Mogadors.
Sibylla atmete tief durch. Der Anblick dieses
langen Zuges dunkel gekleideter stiller Menschen bedrückte sie. Vor drei Wochen
war André in Mogador gewesen. Er hatte ihr zwar Grüße von Emily bestellt, aber
sie hatte ihn im Verdacht, dass er sich das ausgedacht hatte, um sie zu
trösten. Einen Brief ihrer Tochter, nach dem sie sich so sehnte, hatte er
jedenfalls nicht mitgebracht.
Vier Monate war Emily schon fort, und Sibylla
konnte sich nicht erinnern, je so traurige Weihnachten erlebt, dem neuen Jahr
mit so wenig Enthusiasmus entgegengesehen zu haben. Inzwischen war es Ende
April, und sie fühlte sich immer noch so traurig und niedergeschlagen, als
hätte das Zerwürfnis mit Emily erst gestern stattgefunden.
„Sie wird sich wieder fangen“, hatte André
ihr zum Abschied versichert. „Hab Geduld, und mach dir keine Sorgen! Ich werde
gut auf unsere Tochter aufpassen.“
Wenn es nur nicht so schwer wäre, geduldig zu
sein, dachte Sibylla und schaute über den Trauerzug hinweg zu Kaid Samir, der
auf der anderen Seite des Stadttores inmitten seines Gefolges stand, um dem
toten Tujjar al-Sultan die letzte Ehre zu erweisen. Neben ihr unterhielten sich
zwei Kaufleute im Flüsterton.
„Eine einfache Kiste mit einem Leichnam ist
alles, was von einem der einflussreichsten Männer des Landes bleibt“, murmelte
der eine und schaute auf den demütig schlichten Holzsarg, den weder Bild noch
Ornamente oder Blumenschmuck zierten. Nur die Lebensdaten Toledanos,
entsprechend dem jüdischen Kalender, waren in den Deckel geschnitzt.
„Der Mann war achtzig Jahre alt. Das müssen
wir ihm erst einmal nachmachen“, sagte der andere und nahm ehrfürchtig seinen
Hut ab.
Sibylla dachte an Benjamin. Er wäre inzwischen
einundfünfzig Jahre alt und hatte im Gegensatz zu Samuel Toledano kein
gesegnetes Alter erreicht. Er war einen grausamen Tod gestorben und hatte mit
seinem Sklavenhandel ein Geheimnis hinterlassen, das bis heute wie ein dunkler
Schatten auf Sibyllas Schultern lastete. Anders als ihr Mann war Toledano
glimpflich davongekommen. Zu glimpflich, fand Sibylla und hatte es all die
Jahre hartnäckig abgelehnt, mit ihm Geschäfte zu machen.
Sie drehte sich zu John, um ihm mitzuteilen,
dass sie nach Hause gehen wollte, und sah gerade noch, dass Victoria rasch die
Augen niederschlug.
Kurz nach dem Eklat hatte Victoria sich bei
ihr entschuldigt, doch das Verhältnis der beiden Frauen zueinander blieb
distanziert. Oberflächlich herrschte Frieden, aber im Herzen hatte Sibylla ihr
noch nicht verziehen. Sie wusste, dass John ein sehr ernstes
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