Die Loewin von Mogador
dass Aynurs Begrüßung nicht allzu herzlich ausfallen
würde, aber das wollte er seiner Tochter nicht sagen.
Aynur war eifersüchtig. Sie mochte es nicht,
wenn er nach Mogador ritt. Bei seiner Rückkehr gab sie sich kühl und unnahbar,
und er musste sie neu für sich gewinnen, musste ihr beweisen, dass er sie
liebte und nicht die Engliziya, der er seinen Safran verkaufte.
Was würde passieren, wenn er mit einer jungen
Frau auf den Hof ritt, die sich als seine und Sibyllas Tochter entpuppte?
Natürlich würde er Emily beschützen und Aynur klarmachen, dass sie auch dieses
seiner Kinder respektieren müsste, aber leicht würde es nicht werden.
„Ich habe in meinem Leben gelernt, dass es
keinen Sinn macht, große Pläne zu schmieden. Das Schicksal entscheidet meistens
anders“, sagte er zu Emily und bemühte sich, möglichst sorglos zu klingen.
„Dann lässt du also das Schicksal
entscheiden, wie ich empfangen werde?“
„Nicht ganz, denn ich bin an deiner Seite.“
Er streckte eine Hand aus und berührte ihre Schulter. „Inschallah, meine Tochter.“
„Inschallah, Vater“, murmelte sie nicht ganz
überzeugt.
„Baba?“, vernahmen sie die Stimme eines
jungen Mannes aus der Dunkelheit. „Mit wem redest du?“
Die Fackelträger hatten sie erreicht. Emily
blickte gespannt zu dem Rufenden, dessen Gestalt von den Flammen beleuchtet
wurde. Sie sah einen dunkelhaarigen jungen Mann, der behände wie ein Ziegenbock
den Hang heruntersprang. Einer von Andrés Söhnen, wahrscheinlich Frédéric.
Hinter ihm kamen zwei Knechte, ebenfalls mit Fackeln. Emily nahm die Zügel ihres
Pferdes kürzer. In Mogador hatte sie sich gegen zwei ältere Brüder behauptet.
Mit drei jüngeren Brüdern, einer Schwester und deren Mutter würde sie es erst
recht aufnehmen!
Aynur kniff ungläubig die Augen zusammen, als
sie Emily hinter André auf den Hof reiten sah. Hatte ihr Mann aus Mogador eine
zweite Frau mitgebracht?
Gefürchtet hatte sie diesen Schritt schon
lange. Mit siebenunddreißig Jahren war sie nicht mehr jung, auch wenn ihr
Gesicht immer noch glatt und ihr Körper trotz sechs Schwangerschaften noch
schlank und geschmeidig war. Aber nach ihrer jüngsten Tochter Thiyya, deren
winziger Säuglingskörper seit zwei Jahren neben ihrer Schwester Izza unter
einer großen Steineiche hinter den Mauern des Gutes ruhte, war sie nicht wieder
schwanger geworden. Vielleicht wünschte ihr Gatte sich noch mehr Söhne, auch
wenn er ihr immer wieder versicherte, er hätte genug Kinder.
Aber musste er sie deshalb gleich mit einer
Frau demütigen, die ihre Tochter hätte sein können? Schön war die Fremde,
biegsam wie eine junge Zeder und stolz wie eine Königin saß sie zu Pferd. Eine
Berberin war sie nicht, dass erkannte Aynur, weil sie weder die typische
Kleidung noch Stammestätowierungen auf Stirn und Wangen trug. Eine arabische
Frau hätte sich verschleiert. Also musste es sich um eine Ausländerin handeln.
Wieder eine Ausländerin! Eifersucht kochte in
Aynur hoch. Am liebsten hätte sie die Fremde vom Pferd gerissen und mit dem
Gesicht in den Staub gedrückt, bis ihr der Stolz verging! Woher auch immer sie
kam, sie würde sie lehren, was es hieß, in ihr Heim einzudringen!
„Frédéric!“ Sie hielt ihren Ältesten am Hemd
fest und zog ihn zu sich. „Wer ist der Gast, den Baba mitgebracht hat?“,
zischte sie in der Sprache der Glaoua.
Fackelschein tanzte auf seinem Gesicht und
ließ ihn frech und verwegen aussehen. „Er hat gesagt, dass er sie uns zum
Abendessen vorstellt. Aber sie ist hübsch, nicht wahr, Imma? Vielleicht wird
sie meine Braut.“
Aynur versetzte ihrem Ältesten einen Stoß,
insgeheim erleichtert, denn an diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht
gedacht. „Steh nicht herum und halte dumme Reden! Hilf deinen Brüdern, den Esel
abzuladen!“
André sprang von seinem Pferd und warf die
Zügel einem Stallburschen zu. Dann half er der jungen Frau beim Absteigen.
Aynur beobachtete aufgebracht, wie er mit einer Hand ihren Steigbügel hielt,
die andere streckte er ihr hilfreich entgegen. Die junge Frau lächelte
schüchtern, glitt aus dem Sattel und blieb dicht neben André stehen.
Aynur umfasste das Medaillon mit den
Haarlocken all ihrer sechs Kinder darin, das an einer silbernen Kette um ihren
Hals hing, und hob entschlossen das Kinn.
Kapitel
fünfundzwanzig
Emily saß neben ihrem Vater auf einem der
beiden Sofas im Esszimmer und versuchte, möglichst selbstsicher zu wirken. Sie
war froh, dass
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