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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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unbekleideten fremden Männern zu baden.
Es handelte sich nur um ein weiteres der vielen Dinge, bei denen sie
gegensätzlicher Ansicht waren, und allmählich fand Sibylla sich damit ab, dass
sie mehr trennte, als sie gemeinsam hatten.

Kapitel
sieben
     
    Die Audienz bei Sultan Abd Er Rahman fand am
nächsten Tag statt, dem ersten Tag des sechsten Monats, Dshumada l-Achira im
Jahre 1252 nach dem Auszug des Propheten von Mekka. Im gregorianischen Kalender
war es der dreizehnte September 1836. Am Abend zuvor hatte Sibylla auf dem
Rückweg aus dem Hamam gehört, wie die Muezzins der Stadt den neuen Monat mit
dem Erscheinen der hauchdünnen Mondsichel verkündet hatten.
    Für die Audienz trug sie ein Gewand aus
violetter, mit Goldfäden durchwirkter Seide, die sie auf dem Souk von Mogador
gefunden hatte. Es war weit wie ein arabischer Kaftan, aber lang wie ein
europäisches Kleid und verbarg ihre Schwangerschaft fast völlig. Nadira hatte
es nach ihrer Anweisung zusammen mit einem Schal geschneidert, unter dem
Sibylla ihr Haar versteckte.
    Nach dem Besuch des Hamam hatte sie tief und
fest geschlafen. Sie fühlte sich erfrischt und ausgeruht und war froh, dass das
Ziehen in ihrem Unterleib verschwunden war. Die Gruppe aus Mogador ging zu Fuß
zum Sultanspalast, der in einer großen Gartenanlage in der südlichen Medina
lag. Die Geschenke hatten sie auf Esel geladen. Nur das für den Herrscher trug
Benjamin persönlich.
    Nachdem die Souks hinter ihnen lagen,
überquerten sie einen großen Platz, auf dem nicht nur die Scharfrichter der
Stadt unter einem Baldachin sitzend auf Arbeit warteten. Auch Wanderärzte und
fahrendes Volk hatten hier Zelte und Buden errichtet, in denen man sich sowohl
die Zähne ziehen als auch die Zukunft weissagen lassen konnte.
    Nach nicht einmal einer halben Stunde
erreichten sie einen weiteren Platz, der an einer mächtigen roten
Sandsteinmauer mit einem verschlossenen Holztor endete. Auf der Bastion
flatterten die grünen Flaggen des Sultans. Rechts und links vor dem Tor standen
Zelte mit Wachtposten. Sibylla wunderte sich, weil die Wachen nicht wie vor den
königlichen Palästen in London in Habtachtstellung standen, sondern auf dem
Erdboden saßen, Tee schlürften, Karten spielten und ihrer Umgebung keine
besondere Aufmerksamkeit schenkten.
    Die Kaufleute aus Mogador waren nicht die
Einzigen, die sich auf dem Platz versammelt hatten. Auch aus Tanger, Rabat und
Tétouan waren Gruppen hier, insgesamt mehrere Hundert Menschen, die dem Sultan
ihre Aufwartung machen wollten. Konsul Willshire entdeckte James Butler, seinen
Amtskollegen in Tétouan, und Edward Drummond-Hay, den britischen Generalkonsul
in Tanger, und ging, um sie zu begrüßen. Sara machte Sibylla mit britischen
Kaufmannsgattinnen aus den marokkanischen Küstenstädten bekannt. Während Mrs.
Willshire und die Damen darüber sprachen, wie schlecht sie das fremde Essen und
das heiße Klima vertrugen, kurz, wie sehr sie das gute alte England vermissten,
sah Sibylla sich nach Benjamin um. Ihr Mann stand etwas entfernt neben Samuel
Toledano und redete eifrig auf ihn ein. Sie wusste, dass er sich viel von der
heutigen Audienz erwartete. Vor allem hoffte er, dass sein Geschenk für den
Sultan, ein wertvolles silberbeschlagenes Jagdgewehr von einem der besten
Büchsenmacher Englands, den Herrscher aller Gläubigen beeindruckte.
    Neugierig betrachtete sie die Schwarze Garde,
die Sklavenarmee des Sultans, die zu beiden Seiten des Tors ein Spalier
bildete. Die hünenhaften Männer waren nicht nur an ihren Uniformen, dem weißen
Kaftan und roten Tarbusch gut zu erkennen, sondern auch an ihrem harten,
entschlossenen Gesichtsausdruck. Konsul Willshire hatte berichtet, dass die
Schwarzen Garden den Alawiden seit fast zwei Jahrhunderten treu bis in den Tod
dienten.
    Auch Reiterei aus den stolzen Söhnen der
Berbervölker war auf dem Platz anwesend. Aufrecht saßen sie auf ihren
wunderschönen arabischen Pferden und stachelten die temperamentvollen Tiere zu
allerlei Eskapaden an.
    Hoffentlich lässt Seine Majestät uns nicht
mehr lange warten, dachte Sibylla und tupfte sich mit einem Zipfel ihres Schals
die Stirn ab. Inzwischen war es fast Zeit für das Mittagsgebet, die Sonne
schien senkrecht auf den schattenlosen Platz.
    „Ich glaube, am Tor tut sich etwas.“ Mrs.
Butler, die Gattin des Konsuls von Tétouan, blickte zur Palastmauer.
    Tatsächlich hatten die Wachen ihr Kartenspiel
beendet und standen in vorbildlicher Haltung an den Torflügeln.

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