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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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Trotzdem wurden wir nicht immer satt,
besonders wenn die Ernten schlecht ausfielen. Ich habe geschuftet, seit ich
denken kann, aber ohne die schwarzen Trüffeln hätten wir manchen Winter
gehungert. Mein Vater kannte die geheimen Plätze im Wald, wo sie wächst. Die
Trüffeln waren für uns, was der Safran für die Chiadma ist: Unser Sparstrumpf
und unser Notgroschen.“
    In der Kirche war es inzwischen fast dunkel.
André sah nur noch den Umriss von Sibyllas Gesicht. Sie hörte ihm aufmerksam
zu, und es war, als könnte er jetzt, da er einmal damit angefangen hatte, nicht
aufhören, zu erzählen.
    „Ich habe acht Geschwister“, fuhr er fort.
„Meinen Strohsack habe ich noch mit zweien meiner Brüder geteilt, da war ich
schon ein junger Kerl, der mit den Mädchen zum Dorftanz ging. Ich ließ keine
Gelegenheit aus, zu trinken, und dann wurde ich rauflustig. Ich war stark wie
ein junger Bulle und genauso reizbar. War bestimmt nicht einfach mit mir
damals. Heute weiß ich, dass ich kein schlechter Kerl war, ich war nur
todunglücklich. Was wartete auch auf mich? Ein Leben als Knecht auf unserem
Hof, denn erben konnte nur der älteste Sohn …“
    „Aber du bist weggegangen“, unterbrach
Sibylla ihn leise. „Du hast dein Leben in die eigene Hand genommen.“
    Er lachte. „Erst sah es weiß Gott nicht
danach aus! Mit sechzehn habe ich mich davongemacht, bei Nacht und Nebel. Ich
hatte heimlich eine von Vaters Trüffeln zu Geld gemacht und fühlte mich reich und
verwegen. Nach La Rochelle habe ich mich durchgeschlagen, wollte auf einem
Schiff anheuern und die Welt erobern. – Du bist so still, Sibylla. Langweile
ich dich?“ Er tastete im Dunkeln nach ihrer Hand.
    „Ganz und gar nicht, André. Lass mich mehr
hören!“, ermutigte sie ihn. Kurz dachte sie daran, dass es Zeit wurde, nach
Hause zu gehen. Die Kinder warteten sicher schon. Aber sie konnte sich nicht
losreißen von André und seiner weichen dunklen Stimme, die seine Vergangenheit
für sie so greifbar machte, als wäre sie selbst dabei gewesen.
    „Du hast also auf einem Segelschiff
angeheuert?“, nahm sie den Faden wieder auf.
    Er räusperte sich. Seine Zeit als Matrose
bildete ein düsteres Kapitel in seinem Leben, ein Jahr, auf das er alles andere
als stolz war. Trotzdem wollte er Sibylla nichts verschweigen. Sie sollte ihn
ganz kennenlernen, in- und auswendig und dann entscheiden, ob sie ihn wollte
oder nicht.
    „Weißt du, was ‚schanghaien‘ bedeutet?“,
fragte er.
    Sie überlegte. „Liegt Shanghai nicht irgendwo
in China? Hat es mit China zu tun?“
    „Das Wort kommt von den Kuliklippern“,
antwortete André. „Das sind Schiffe, die chinesische Zwangsarbeiter nach
Südamerika transportieren, wo sie Guano abbauen müssen.“
    „Das ist ja Sklaverei!“, rief Sibylla aus.
„Aber du bist doch nicht versklavt worden, oder?“
    „In gewisser Weise schon. Ich war ein dummer
Junge vom Land, obendrein einer, der Geld in der Tasche hatte. Gleich in der
ersten Hafenkneipe betrank ich mich sinnlos. Ich erinnere mich noch, dass da
ein Kerl war, der dafür sorgte, dass mein Glas mit Rum nie leer wurde. Das
Nächste, was ich weiß, ist, dass ich draußen auf dem Meer auf einem Segelschiff
wieder zu mir kam und der Maat mir ein Papier unter die Nase hielt, auf dem
stand, dass ich als Matrose angeheuert hatte – nicht, dass ich mich daran
erinnern konnte.“
    „Das also ist schanghaien? Was für eine
Gemeinheit!“, schnaubte Sibylla empört.
    André nickte nur. Die Geschichte stimmte, bis
auf ein kleines Detail, das ihm besonders peinlich war: Er war nicht in einer
Hafenkneipe, sondern in einem Bordell schanghait worden. Er hatte sich eine
Hure genommen, und sie hatte ihn betrunken gemacht, sein ganzes Geld gestohlen
und ihn dann an ein Presskommando ausgeliefert, von dem sie sicher noch einmal
kassiert hatte.
    „Zuerst dachte ich mir nicht viel dabei“,
fuhr er fort. „Ich wollte sowieso zur See fahren. Aber dann merkte ich, dass
ich auf einem Sklavenfänger gelandet war.“
    „Wie abscheulich!“, entfuhr es Sibylla, und
er hatte keine Ahnung, ob sie damit die Sklaverei meinte oder ihn.
    Gepresst erwiderte er: „Freiwillig hätte ich
das nie getan. Was ich auf diesem Schiff erlebt habe, wie man mit den
Schwarzen, diesen armen Teufeln, umsprang … nie werde ich das vergessen! Und
ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mitgemacht habe, nur um nicht
selbst die neunschwänzige Katze zu bekommen. Verachtest du mich jetzt?“ Er
tastete

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