Die Loewin von Mogador
ihrem
Fächer. Die Niederländerin blickte hochmütig drein, allein die Französin
lächelte. Die unterschwelligen Spannungen zwischen Monsieur Rouston und der
englischen Kaufmannsfrau interessierten sie viel mehr als der Tratsch über
Sklavenhandel.
„Dann wäre das geklärt“, fuhr Sibylla fort.
„Eine Neuigkeit habe ich aber noch für Sie: Solange mein Mann Gefangener des
Kaids ist, führe ich die Geschäfte der Reederei Spencer in Mogador. Ich bin ab
sofort für alles verantwortlich, und glauben Sie mir: Sklavenhandel gehört
nicht zu diesen Geschäften!“ Etwas weicher fügte sie hinzu: „Heute ist Ostern.
Wir feiern das Fest der Auferstehung unseres Herrn, und auch ich möchte etwas
zu unserer alljährlichen Zusammenkunft beisteuern.“ Sie trat einen Schritt zur
Seite, und erst jetzt bemerkten die anderen ihre schwarze Dienerin, die mit
einem großen Henkelkorb hinter ihr gestanden hatte.
„Ich habe etwas traditionell Englisches
gebacken. Andere Länder“, sie nickte der Gattin des französischen Konsuls zu,
„mögen eine berühmtere Küche haben. Aber frische Korinthenbrötchen zählen zu
meinen schönsten Kindheitserinnerungen an Ostern. Bei Ihnen auch, Sara?“
Die andere zupfte an ihrer Ärmelrüsche und
tat als habe sie nichts gehört. Sibylla hob die Schultern. Dann wandte sie sich
an Nadira. „Bitte verteil die Brötchen an die Damen und an Monsieur Rouston.
Wir müssen sie gleich essen, sie sind nämlich noch warm.“
„Ich habe noch nie eine Frau mit deiner
Courage gesehen, Sibylla! Die ganze Bande missgünstiger Hennen hast du mit
deinem Charme und deinen köstlichen Korinthenbrötchen überwältigt!“
André hatte Sibylla hinter das Zelt gezogen.
Drinnen spielten ihre Söhne mit der kleinen Tochter des französischen Konsuls.
Aber hier waren sie abgeschirmt vom Trubel und konnten ein paar Minuten
ungestört reden. Sibylla lachte. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich
befreit und unbekümmert. Die hässlichen Anschuldigungen gegen Benjamin waren
noch längst nicht aus der Welt. Aber morgen durfte sie ihn endlich besuchen und
ihm all die Fragen stellen, die ihr auf der Seele brannten. Rusa hatte die
Erlaubnis für sie erwirkt.
„Dieser Sohn eines Esels! Ich werde ihn
leeren, was Weisheit bedeutet!“, hatte die Mutter des Statthalters empört
gerufen, als Sibylla ihr erzählt hatte, dass der Kaid ihr seit drei Monaten
verwehrte, ihren Ehemann zu sehen.
Sibylla blitzte André herausfordernd an.
„Willst du mich kompromittieren, oder bist du schon wieder in Mogador, weil du
solche Sehnsucht nach mir hattest?“
Er fand es wundervoll, dass sie mit ihm
flirtete, aber leider musste er sie aus ihrer sorglosen Stimmung reißen. „Ich
würde dich gern auf jede erdenkliche Art kompromittieren, aber der Anlass
meines Besuches ist sehr ernst. An der Grenze zu Algerien braut sich ein Krieg
zusammen. Ich bin im Auftrag der französischen Regierung mit wichtigen
Nachrichten zum Sultan nach Marrakesch unterwegs.“
„Was für Nachrichten? Und wieso Marrakesch?
Der Sultan wollte doch nach Fès.“ Sibylla war verwirrt.
„Er hat seinen Aufenthalt dort abgesagt. Und
bei den Nachrichten geht es um Abd El Kader und einen seiner eigenen
rebellischen Untertanen.“
„Abd El Kader? Das ist doch der Berberführer,
der in Algerien den Jihad gegen euch Franzosen ausgerufen hat?“
„Genau. Und mit diesem Jihad macht er jetzt
ernst. Er hat einen marokkanischen Stammesführer auf seine Seite gezogen, um
mit ihm den Sultan zu stürzen.“
„Das hört sich nicht gut an. Aber was habe
ich damit zu tun?“, entgegnete Sibylla verständnislos.
„Der marokkanische Berberfürst gewährt Abd El
Kader Unterschlupf. Nun soll ich Abd Er Rahman dazu bringen, ihn an Frankreich
auszuliefern. Im Gegenzug verrate ich dem Sultan, dass die Rebellen seinen
Sturz planen. Lässt Abd Er Rahman sich auf diesen Handel nicht ein, werden die
Franzosen marokkanische Hafenstädte bombardieren. Du weißt, was das für Mogador
bedeutet.“
„Krieg“, folgerte Sibylla leise, „du meine
Güte!“
Beide schwiegen. Sibylla dachte über Andrés
Neuigkeiten nach. „Wann reitest du nach Marrakesch?“
„Morgen in aller Früh.“
„Warte noch einen Tag! Bitte! Morgen darf ich
endlich Benjamin besuchen. Aber dann begleite ich dich nach Marrakesch.“
„Was willst du?!“ Er war völlig vor den Kopf
geschlagen.
„Wenn es stimmt, was du sagst, kann ich nicht
bis zum Herbst damit warten, den Sultan um Benjamins
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