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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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„Die Westbastion wurde mit Karkassen
beschossen und hat lichterloh gebrannt. Sogar Eisenbeschläge und Geschützteile
sind in der Hitze geschmolzen“, erläuterte de Maillard schließlich. „Niemand
dort hat überlebt. Wir haben nur ein paar verkohlte Knochen in der Asche
gefunden.“
    „Mein Gott!“ Sibylla hielt sich eine Hand vor
den Mund.
    „Mein tief empfundenes Mitgefühl, Madame!“
Der junge Offizier verbeugte sich wieder. Dann zog er sich auf ein Zeichen des
Kapitäns zurück.
    Wallis winkte einen Matrosen heran, befahl,
ihm einen Stuhl zu besorgen, und nötigte die widerstrebende Sibylla, sich zu
setzen. „Mrs. Hopkins, die Warspite wird in wenigen Tagen nach England segeln.
Gewiss wollen Sie zurück zu Ihrer Familie, zurück in die Heimat, so wie viele
der anderen Europäer.“
    Wie betäubt schüttelte Sibylla den Kopf.
„Erst einmal möchte ich mit meinen Söhnen sprechen. Vielen Dank für Ihre Mühe,
Kapitän.“
    Sie stand auf und suchte Tom und Johnny.
Beide standen bei Nadira und Firyal an der Reling und stritten sich, wer weiter
spucken konnte. Als sie ihre Mutter sahen, rannten sie ihr entgegen. Sie nahm
sie an der Hand und führte sie in eine ruhige Ecke.
    „Was machen wir hier, Mummy?“ Johnny schaute
sich neugierig um.
    Sibylla hockte sich hin und umarmte erst ihn
und dann seinen Bruder. „Thomas, Jonathan, ihr müsst jetzt große tapfere Jungen
sein und mir gut zuhören!“
     
    Eine Woche später, Insel Mogador
     
    „Mummy, hier riecht es so komisch!“, krähte
Johnny. Er stand neben seiner Mutter vor den nach beißendem Rauch stinkenden
Trümmern der Westbastion und hielt sich die Nase zu.
    Sein Bruder fragte besorgt: „Weinst du,
Mummy?“
    Sie zwang sich, zu lächeln. „Aber nein, Tom,
das ist nur dieser scharfe Gestank, der in meinen Augen brennt.“
    Tom war mit der Antwort zufrieden und lehnte
sich an seine Mutter. Sein Bruder aber bemerkte kritisch: „Es ist so schmutzig
hier, Mummy. Ich will lieber nach Hause.“
    „Die Soldaten haben gesagt, dass wir heute
nach Hause dürfen“, tröstete Sibylla ihn. „Lauft doch schon zu Nadira und
Firyal. Ich komme gleich nach.“
    Ihre Söhne rannten fröhlich lachend davon.
    Sie wirken so unberührt vom Tod ihres Vaters,
dachte Sibylla. Vielleicht sind sie noch zu klein, um zu verstehen, dass er
dieses Mal nicht auf einer langen Geschäftsreise ist, sondern dass er nie
wiederkommt.
    Sie hatte sich bemüht, die Kinder zu schonen,
und ihnen erzählt, dass ihr Vater auf der Insel Mogador gewesen wäre, als die
Bomben fielen, und er dabei wie andere unschuldige Menschen den Tod gefunden
hätte.
    „Er wurde von Engeln in den Himmel getragen“,
hatte sie den Jungen gesagt. Das hatten beide höchst interessant gefunden.
Johnny hatte sogar gefragt, ob die Engel seinem Vater Flügel ausliehen oder ob
ihm selbst welche wachsen würden. Unter der Endgültigkeit des Todes konnten sie
sich noch nichts vorstellen, auch wenn Sibylla sie zu den Ruinen der
Westbastion mitgenommen hatte, damit sie alle zusammen ein Vaterunser für
Benjamin sprechen konnten.
    Seit sechs Tagen campierten sie auf der
Insel. Gerade als Matrosen der Warspite begonnen hatten, die Beiboote zu Wasser
zu lassen, um die Europäer aufs Festland zurückzubringen, war eine Schaluppe
von der Suffren herangerudert, und man hatte ihnen berichtet, dass Haha-Berber
in Mogador eingefallen wären und die Stadt plünderten.
    Da die Warspite nicht darauf eingerichtet war,
so viele Menschen zusätzlich zu beherbergen, campierten die Ausländer in einem
behelfsmäßigen Zeltlager aus Segelplanen und Decken auf der Insel Mogador. Aber
vor wenigen Stunden hatte Oberbefehlshaber Joinville verkündet, dass die Berber
abgezogen waren, vertrieben – mit Hilfe seiner Soldaten.
    Von der zerstörten Westbastion stieg auch
über eine Woche nach dem Ende der Bombardierung immer noch beißender Gestank
auf. Sibylla hustete und hielt sich ihr Taschentuch vor die Nase.
    Vielleicht finde ich doch irgendeinen Hinweis
auf Benjamin, dachte sie, während sie mit gerafften Röcken über die erkalteten
Trümmer stieg. Einen Knopf, einen Stiefel, irgendetwas. Es war so schwierig,
sich mit Benjamins Tod abzufinden, wenn es keine Leiche gab, die sie bestatten
konnte, wenn er wirklich nur noch ein Häuflein Asche war, das der Wind längst
in alle Richtungen geweht hatte. Sie stutzte, als sie einen kleinen Gegenstand
unter einem verkohlten Balken entdeckte. Doch als sie den Ruß abgewischt hatte,
erkannte

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