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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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sechzehnten
Jahrhundert von den Osmanen unterworfen“, wagte André einzuwenden.
    „Die Osmanen sind unsere Brüder. Aber unter
der Herrschaft von Ungläubigen zu stehen, ist für die Kinder Allahs eine
Erniedrigung!“, begehrte der Kaid auf, und mehr denn je glichen seine Züge
denen eines Raubvogels.
    André verzichtete auf eine Antwort und
richtete das Fernrohr auf die Insel. Franzosen ruderten überlebende
marokkanische Soldaten auf ihre Kriegsschiffe. Er sah etliche Leichen zwischen
den Felsnadeln im Wasser treiben. Der Adjutant des Prinzen von Joinville hatte
ihm berichtet, dass die Verluste der Marokkaner beträchtlich waren, die
Franzosen jedoch kaum Tote und Verwundete zu beklagen hatten. Diese Nachricht
überraschte André nicht. Er wusste, dass die Marokkaner schlechte Waffen
besaßen und noch schlechtere Schützen waren.
    Der Wind trieb ihm den beißenden Gestank von
Tod und Bränden in die Nase. Er spähte zur Westbastion. Dort, hatte Sibylla ihm
gesagt, wurde Benjamin gefangen gehalten. Dichter Qualm waberte auch noch
Stunden nach dem Ende der Beschießung über dem Areal. Dazwischen ragten
verkohlte Trümmer empor. Die Franzosen mussten die Insel mit Brandgeschützen
bombardiert haben.
    „Der Gefangene Hopkins wurde in der
Westbastion festgehalten“, sagte er zu Hash Hash. „Seine Kaiserliche Majestät
hat seine Freilassung befohlen. Glauben Sie, er hat überlebt?“
    Der Kaid nahm André das Fernrohr ab und
blickte hindurch. „Glauben Sie an Wunder, Rouston? Ihr Franzosen habt auf der
Insel gewütet wie die Wölfe!“
     
    Sibylla stand am Bug der Warspite und
musterte ebenfalls die rauchenden Reste der Inselbefestigungen. Das Deck war
mit Männern, Frauen und Kindern überfüllt. Die Besatzung versorgte die nach der
Gefangenschaft erschöpften Menschen mit Essen, und der Schiffsarzt untersuchte
sie.
    „Sie wollten mich sprechen, Mrs. Hopkins?“
Kapitän Wallis trat neben sie und verneigte sich höflich.
    Sie wandte lächelnd den Kopf. „Danke, dass
Sie sich Zeit für mich nehmen, Kapitän! Tatsächlich habe ich eine große Bitte
an Sie: Können Sie herausfinden, ob sich unter den Überlebenden von der Insel
mein Mann befindet? Zum Zeitpunkt der Bombardierung war er in der Westbastion.“
Sie verzichtete darauf, ihm die näheren Umstände zu erklären.
    Der Kapitän nickte beflissen. „Ich werde sofort
einen Offizier zur Suffren hinüberschicken und Informationen vom Kommandostab
der Franzosen einholen. Verzagen Sie nicht, Mrs. Hopkins, bald wissen wir mehr!
Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit eine Tasse Tee bringen lassen? Und wenn Sie
mir die Bemerkung erlauben, Mrs. Hopkins: Das Schlachtfeld auf der Insel ist
kein Anblick für eine Dame.“ Er verneigte sich, ohne zu sehen, wie Sibylla eine
Grimasse zog, und ging.
    Zwei Stunden später kehrte er in Begleitung
eines französischen Marineoffiziers zurück. „Darf ich vorstellen, Mrs. Hopkins:
Leutnant zur See de Maillard. Er ist persönlicher Adjutant von Oberbefehlshaber
Joinville.“
    Sie begrüßte ihn und fragte: „Bringen Sie mir
Nachricht von meinem Mann, Leutnant? Befindet er sich auf einem Ihrer Schiffe?“
    Der junge Offizier verbeugte sich. „Ich
fürchte, Madame, ich bringe keine guten Nachrichten. Ihr Mann befindet sich auf
keinem unserer fünfzehn Schiffe. Er war weder unter den Kriegsgefangenen noch
unter den Toten und Verwundeten.“
    „Dann wird er vermisst?“
    „Das könnte man so sagen, Madame“, erwiderte
Leutnant de Maillard unbehaglich. „Allerdings wurden die Befestigungsanlagen
auf der Insel restlos zerstört. Die Westbastion, wo ihr Mann sich aufhielt, ist
völlig ausgebrannt …“ Er schluckte. „Ich fürchte, Madame, Sie müssen mit dem
Schlimmsten rechnen.“
    „Dass er tot ist“, flüsterte Sibylla.
    Der Kapitän und der Offizier traten
gleichzeitig vor, um sie zu stützen, aber sie hob abwehrend eine Hand. „Danke,
meine Herren, ich komme zurecht!“ Sie blickte zu den rauchenden Trümmern auf
der Insel und dann wieder zu den beiden Männern. „Sind die Zerstörungen
wirklich so verheerend? Kann er nicht irgendwie überlebt haben? Unter Trümmern
begraben sein?“
    De Maillard schüttelte bedauernd den Kopf.
„Es tut mir sehr leid, Madame, aber die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering.“
    „Äußerst gering oder gleich null? Ich bitte
Sie, Leutnant, sagen Sie mir die Wahrheit! Ich bin nicht aus Zucker!“
    Der junge Offizier blickte hilfesuchend zum
Kapitän, der ratlos die Schultern hob.

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