Die Löwin
einfachen Bauernkaten, dann und wann auch ein großes Gut mit einem festungsähnlichen Hauptgebäude und manchmal eine Burg auf einem Felssporn. Die Herren, die in diesem Landstrich lebten, galten als Vasallen des Kirchenstaats, fühlten sich aber angesichts der langjährigen Abwesenheit der Päpste, die in Avignon residiert hatten, aller Pflichten ledig und waren je nach Laune für oder gegen Visconti. Die wenigen Städte, durch die sie kamen, rühmten sich stolz ihrer republikanischen Freiheiten und verteidigten diese gegen jeden, ob ihr Gegner nun Mailand, Florenz oder sonst ein mächtiger Stadtstaat war.
Rodolfo wusste jedoch, dass Gold ihren Bewohnern mehr galt als Ideale, und so hatten sowohl die Visconti als auch die Medici aus Florenz in jeder Stadt ihre Anhänger, die nur darauf lauerten, für ihre Gönner tätig werden zu können. Viele ummauerte Orte, die sich nach außen hin unabhängig gebärdeten, hatten sich längst Mailand oder einem anderen mächtigen Staat angeschlossen, und wer noch wartete, tat dies in der Hoffnung, den Preis für sein Wohlverhalten in die Höhe treiben zu können.
Angesichts dieser Verhältnisse fragte Rodolfo sich, wie es dem Herzog von Mailand gelingen sollte, eine stabile Herrschaft zu errichten. Wohl hatte Gian Galeazzo Visconti große Erfolge errungen, doch er war nur ein einziger Mann und in spätestens zwei Jahrzehnten würde der Tod seine Herrschaft beenden. Was würde nach ihm kommen? Obwohl Rodolfo bewusst war, dass er selbst keine Chance mehr hatte, ein Mitspieler um die Macht zu werden, malte er sich verschiedene Konstellationen aus. Das war besser, als sich ständig vorzustellen, wie der Henker an seinem Hals Maß nehmen würde.
Als sie am Abend in einer kleinen Herberge Quartier nahmen, wurde er in ein Loch gesperrt, in dem der Wirt sonst Kürbisse aufbewahrte. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, der ihn mit anderen Gefühlen in die Zukunft blicken ließ. Während ihn zwei der Söldner, die ihm das Abendessen brachten, mit blanken Schwertern bedrohten, löste der dritte die Fesseln von seinen Handgelenken, damit er sich selbst bedienen konnte; dabei zwinkerte ihm der noch recht junge Bursche verschwörerisch zu. Rodolfo musterte das Gesicht und presste die Lippen zusammen, damit ihm kein verräterischer Laut entfliehen konnte. Es war Gaetano, ein Spielkamerad aus seiner Kinderzeit. Sie hatten sich vor ein paar Jahren aus den Augen verloren, und nun stand der einstige Freund als Söldner im Dienst seines Onkels.
Während Rodolfo langsam die Suppe aß, in der Gemüse und Hammelfleisch schwammen, keimte die Hoffnung in ihm auf, der Gefangenschaft und damit auch dem Henker entfliehen zu können. Gaetano schien auf seiner Seite zu stehen, denn als er ihm die Schüssel zurückgab, zwinkerte dieser ihm erneut zu.
»Danke, das hat gut geschmeckt!«, sagte Rodolfo in einem Tonfall, der den Wächtern seine Friedfertigkeit demonstrieren sollte.
Gaetano reagierte nicht, sondern verließ den Keller. Einer seiner Kameraden aber konnte es sich nicht verkneifen, ihn zu verspotten. »Auf Molterossa wirst du schlechter essen, du verräterischer Hund! Den eigenen Oheim und die Heimat im Stich lassen und sich diesen elenden Mailändern anschließen: pfui Teufel! Der Herr wird es dir schon gründlich eintränken, darauf kannst du Gift nehmen.«
Da Rodolfo seinen Onkel kannte, hätte er nicht dagegen gewettet. In Molterossa hatte er entweder den Richtblock oder eine elende Kerkerhaft zu erwarten, die Amadeo als Nachfolger seines Onkels dann sicher ebenfalls mit der Hinrichtung beenden würde. Doch nun baute er darauf, dass ihm dieses Schicksal erspart bleiben würde. Einer der beiden Söldner fesselte ihm die Hände wieder auf den Rücken und band ihm die Füße zusammen, während ihm der andere das Schwert an die Kehle hielt. Dann verließen sie das Loch und schlossen die Tür. Da es keinen Riegel zu geben schien, stemmten sie einen festen Pflock gegen die Tür. Kurz darauf hörte Rodolfo, wie der Capitano die Wachen für die Nacht benannte, und als Gaetanos Name fiel, atmete er auf.
Trotz einer bleiernen Müdigkeit vermochte er nicht einzuschlafen. Es waren weniger die stramm sitzenden Riemen und der harte Boden, die ihn daran hinderten, sondern die Erwartung dessen, was kommen mochte. Er sehnte den Augenblick herbei, an dem sein Freund die Wache übernehmen würde, aber die Zeit zog sich dahin wie ein Spinnfaden und die Nacht schien nicht enden zu wollen. Mehrfach versuchte
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