Die Löwin
er, sich das dumme Gesicht seines Onkels vorzustellen, wenn dieser von seiner Flucht erfuhr, aber das fachte seine Anspannung eher noch an. So zwang er seine Gedanken in andere Bahnen und schmiedete Pläne, wie er seinem Vetter Amadeo dessen Gemeinheiten zurückzahlen konnte. Dabei fiel ihm ein, dass die Tedesca ihm ebenfalls noch einiges schuldig war. Deren Abbitte würde er jedoch nicht mit blanker Klinge eintreiben, sondern auf einem weichen Bett. Er würde sie benutzen, nahm er sich vor, bis sie ihn weinend um Gnade anflehte.
Rodolfo hatte sich so in seine Phantasien eingesponnen, dass er erschrocken auffuhr, als draußen an dem Pflock gerüttelt wurde, mit dem der Keller versperrt war.
»Herr, seid Ihr wach?«, hörte er Gaetano leise fragen.
»Ja, mein Freund!«
Fast im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet und Gaetano schlüpfte herein. In seiner Hand hielt er einen Kerzenstummel, der noch den Geruch von Weihrauch verströmte. »Den habe ich aus einer Kirche mitgehen lassen. Ich hoffe, der heilige Isidoro, dem diese Kerze geweiht war, wird es mir verzeihen. Ich hatte so eine Ahnung, dass ich hier keine Laterne vorfinden würde.«
Rodolfo spürte, dass der hektische Wortschwall aus der Nervosität seines Freundes geboren war, und drehte ihm kurzerhand den Rücken mit den gefesselten Händen zu. »Binde mich los! Und dann nichts wie fort, bevor dieser elende Capitano etwas mitbekommt. Oder willst du die Kerkerzelle auf Molterossa mit mir teilen?«
Diese unangenehme Aussicht beflügelte Gaetano. Er stellte die Kerze ab, zog seinen Dolch und schnitt die Lederriemen durch. »Die Pferde sind bereits gesattelt«, erklärte er, während er die Riemen an den Füßen seines Freundes löste. Rodolfo stand auf, rieb sich die schmerzenden Handgelenke, schüttelte die fast tauben Füße und grinste trotz des Gefühls, auf Tausenden von Nadeln zu stehen.
»Dann nichts wie los!« Er folgte Gaetano durch einen Kellergang in eine fast lichtlose Nacht. Der Himmel war wolkenbedeckt, so dass man nur gelegentlich eine schmale Mondsichel erkennen konnte. Die Finsternis verbarg die Flüchtenden zwar vor fremden Augen, erschwerte aber, dass sie selbst weit genug kamen, um vor Verfolgung sicher zu sein. Die Kerze bot ihnen keine Hilfe mehr, denn sie war bereits beim ersten Luftzug erloschen. Dennoch fand Gaetano mit schlafwandlerischer Sicherheit die Stelle, an der er die Pferde festgebunden hatte, und ehe die Zeit vergangen war, in der ein Käuzchen dreimal schreit, saßen sie in den Sätteln und ritten los.
»In welche Richtung sollen wir uns wenden, Herr?«, fragte Gaetano.
»Nach Süden, mein Guter. Der Capitano meines Oheims wird annehmen, wir würden nach Norden reiten, um so rasch wie möglich auf Mailänder Gebiet zu gelangen, und versuchen, uns auf diesem Weg einzuholen. Aber wir werden stattdessen Florenz im weiten Bogen umgehen und uns zu den Besitzungen des Marchese Olivaldi durchschlagen.«
Das waren die letzten Worte, die sie für längere Zeit wechselten. Zu ihrem Glück zogen die Wolken weiter und es wurde so hell, dass sie einen leichten Trab riskieren konnten. Als der Morgen graute, wuchs ihre Hoffnung, entkommen zu sein. Daher rasteten sie am Ufer eines kleinen Baches und tränkten die Pferde. Auch Rodolfo und Gaetano genossen das kühle, klare Nass und teilten sich das Brot, das der Söldner am Abend unter seinem Hemd versteckt hatte.
»Mehr konnte ich leider nicht mitgehen lassen«, entschuldigte Gaetano sich mit einer hilflosen Geste.
Rodolfo klopfte seinem Begleiter anerkennend auf die Schulter. »Du hast genau das Richtige getan! Im Lauf des Tages können wir es riskieren, uns Lebensmittel und ein wenig Hafer für die Pferde zu besorgen. Wir dürfen uns jedoch nirgends aufhalten und müssen abseits der Handelsstraßen reiten.«
Gaetano steckte das letzte Stück Brot in den Mund, kaute kräftig darauf herum und spülte es mit Wasser hinunter. »Ich bin froh, dass ich Euch helfen konnte, Herr. Euer Oheim ist furchtbar wütend auf Euch, und dieser Schleicher Amadeo hätte ihn gewiss beschwatzt, Euch einen Kopf …, ähm, zumindest sehr streng zu bestrafen.«
»Du kannst nicht so froh sein wie ich selbst. Ich habe schon bei dem Gedanken, meinem Onkel gegenüberstehen zu müssen, am ganzen Körper gezittert.« Rodolfo lachte leise auf und blickte Gaetano fragend an. »Wie bist du eigentlich in die Dienste des Alten geraten? Es hieß, du würdest immer noch in dem Dorf beim Gutshof meiner Mutter
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