Die Löwin
die einen einzelnen, hoch aufstrebenden Glockenturm aufwies und die Grablege der herzoglichen Familie enthielt. Auch an diesem so friedlich erscheinenden Platz gab es Streit und Hader zwischen den einzelnen Sippen, doch die mächtigen Geschlechtertürme, die Städte wie San Gimignano und Rividello beherrschten, suchte man hier vergebens. Seit Generationen sorgten die Caetani von Molterossa mit eiserner Hand für Frieden und Ordnung, und wenn einen Bürger der Hafer zu sehr zu stechen drohte, genügte ein Blick auf die über der Stadt aufragende Burg, um ihn wieder zur Räson zu bringen.
Wie lange dieser Friede noch anhalten mochte, wagte der Herzog sich kaum zu fragen. Es gärte in seiner Stadt, und mancher der reichen Kaufleute und kleinen Edelleute, die jetzt noch den Rücken krümmten, wenn sie ihm begegneten, sehnten ein Ende seiner Herrschaft herbei, denn sie hofften, in Gian Galeazzo Viscontis Sold selbst zu Herren aufsteigen zu können. Arnoldo Caetani ballte die Fäuste und warf einen finsteren Blick in die Richtung, in der er Mailand wusste. Noch hatte Visconti den Norden Italiens nicht ganz erobert, und wenn es nach ihm ging, würden die hochfliegenden Pläne der Viper von Mailand kläglich scheitern.
Caetanis Blick glitt über seine Burg. Mit ihrer wuchtigen Wallmauer und den hohen Türmen wirkte sie wehrhaft und kampfbereit, und der einzig sichtbare Zugang wurde durch einen gewaltigen, achteckigen Turm beherrscht, der weder mit Leitern noch mit Rammböcken zu nehmen war. Drei weitere Türme sicherten die Flanken und das zum See hin abfallende Ende, ein fünfter die Engstelle zwischen dem Zwinger und dem eigentlichen Burghof, in dem sich neben den Wirtschaftsgebäuden und dem Zeughaus der vielfach umgebaute Palas erhob. Dieser war einst eine Festung für sich gewesen, mittlerweile aber bot das Wohngebäude allen Komfort, den ihre Besitzer sich hatten leisten können – und das war nicht wenig. Der Wohlstand hatte viel Neid erweckt und dazu geführt, dass der römische Zweig der Caetani den aus Molterossa als unbedeutenden Seitenzweig der Sippe abtat.
Arnoldo Caetani war stolz auf sein kleines Reich und den Rang eines Herzogs, den er von seinen Vätern ererbt hatte, während Gian Galeazzo Visconti für die gleiche Würde dem deutschen König Wenzel etliche Kisten gemünzten Goldes über die Alpen hatte bringen lassen müssen. Die Caetani von Molterossa führten ihre Abkunft auf Autarico zurück, einen Neffen Desiderios, des letzten Königs der Langobarden, und in der Chronik seines Geschlechts war verzeichnet, dass ihr Rang und ihr Titel noch aus jenen Tagen stammten. Ihr Anspruch war auch nie ernsthaft angezweifelt worden, insbesondere, da er vor nicht allzu langer Zeit durch die Einheirat einer Dame von ebenso hoher Abkunft noch einmal verbrieft worden war.
Der Herzog atmete tief durch und wandte sich seinem Neffen und designierten Nachfolger Amadeo zu, einem schlanken jungen Mann um die fünfundzwanzig mit einem hübschen, sonnengebräunten Gesicht, lockigen, brünetten Haaren und dunklen Augen. Für den Geschmack des Herzogs war die Kleidung des Jünglings, die aus hautengen Hosen und einem kurzen, bestickten Wams bestand, etwas zu geckenhaft.
Arnoldo Caetani selbst hatte sich mit jener Sorgfalt gekleidet, die er seinem Rang für angemessen hielt. Sein langer, dunkelbrauner Überrock war genau wie seine roten Handschuhe mit goldenen Stickereien verziert und an jedem Finger einschließlich des linken Daumens steckte ein mit Edelsteinen geschmückter Goldring. Trotz der Wärme bedeckte eine mit Zobel verbrämte Mütze aus Samt sein Haupt. Im Gegensatz zu seinem hoch gewachsenen Neffen wirkte er klein und rundlich, und doch hätte ihm keiner seiner Nachbarn das Prädikat eines gemütlichen alten Herrn verliehen. Sein siebzigster Geburtstag stand kurz bevor, und jedes dieser vielen Jahre schien sein aufschäumendes Temperament verstärkt zu haben.
Der Herzog trank einen Schluck Wein, hob seinen Becher kurz der untergehenden Sonne entgegen, die sich blutrot im See widerspiegelte, und schnaubte. »Michelotti ist ein Narr!«
Amadeo wagte nicht zu fragen, wieso er zu dieser Ansicht gelangt sei, denn dafür hätte sein Onkel ihn gnadenlos abgekanzelt. Dabei interessierte ihn durchaus, weshalb der Herzog so wütend auf Biordio Michelotti war, den mächtigsten Mann der großen Stadt Perugia.
Arnoldo Caetani ließ sich wie erwartet sofort über den Mann aus. »Dieser Krämer glaubt, Visconti allein
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