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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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den Massenmord an den europäischen Juden zu verurteilen.«
    »Weshalb nicht? Warum hat er geschwiegen?«
    Der Rabbi hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Er hat behauptet, aufgrund der universalen Natur der Kirche sei er nicht in der Lage, Partei zu ergreifen – selbst gegen eine so böse Macht wie das nationalsozialistische Deutschland nicht. Verdamme er Hitlers Greueltaten, sagte Pius, müsse er auch etwaige von den Alliierten verübte Greueltaten verdammen. Er behauptete, offene Worte von seiner Seite würden die Lage der Juden nur verschlimmern, auch wenn man sich kaum vorstellen kann, was schlimmer hätte sein können als die Ermordung von sechs Millionen Menschen. Er wollte eine Rolle bei einem Verhandlungsfrieden spielen, der ein starkes, antikommunistisches Deutschland im Herzen Europas erhalten würde.« Zolli machte eine kurze Pause. »Außerdem habe ich meine eigenen Theorien.«
    »Nämlich?«
    »Ich fürchte, daß Seine Heiligkeit sich trotz öffentlicher Beteuerungen, er liebe das jüdische Volk, nicht allzu viel aus uns gemacht hat. Sie dürfen nicht vergessen, daß er in einer katholischen Kirche aufgewachsen ist, die Antisemitismus noch als Doktrin gelehrt hat. Pius hat Judentum mit Bolschewismus gleichgesetzt und Haß geschürt mit dem alten Ressentiment, Juden interessierten sich nur fürs Materielle. Als er in den dreißiger Jahren Kardinalstaatssekretär war, druckten die amtlichen Blätter des Vatikans den gleichen antisemitischen Schund wie Der Stürmer . In einem Artikel der vatikanischen Zeitschrift La Civiltà Cattolica wurde sogar darüber diskutiert, ob die Juden nicht durch Ausrottung beseitigt werden könnten. Pius fand vermutlich, sie bekämen nur, was sie verdient hatten. Wozu sollte er sich und vor allem seine Kirche für ein Volk in Gefahr bringen, das seiner Überzeugung nach das größte Verbrechen aller Zeiten verübt hatte – die Ermordung Gottes persönlich?«
    »Wieso haben dann so viele Juden dem Papst nach dem Krieg gedankt?«
    »Die in Italien zurückgebliebenen Juden waren mehr daran interessiert, den Christen die Hand zu reichen, als unbequeme Fragen nach der Vergangenheit zu stellen. Im Jahr 1945 war die Verhinderung eines weiteren Holocausts wichtiger als die Aufdeckung der Wahrheit. Für die verstreuten Überlebenden der jüdischen Gemeinden war das einfach lebensnotwendig.«
    Gabriel und der Rabbi kehrten zu ihrem Ausgangspunkt, der Casa Israelitica de Riposo , zurück, blieben wieder nebeneinander vor dem Fenster stehen und beobachteten die alten Jüdinnen vor ihrem Fernseher.
    »Was hat Christus einmal gesagt? ›Was ihr dem geringsten unter meinen Brüdern tut … ‹? Sehen Sie sich das an … die älteste fortwährend bestehende jüdische Gemeinde Europas auf dies hier reduziert. Ein paar Familien, ein paar alte Leute, die zu krank, dem Tod zu nahe sind, um jemals fortzugehen. An den meisten Abenden spreche ich das maariw allein. Sogar am Sabbat machen nur eine Handvoll Brüder sich die Mühe, daran teilzunehmen. Die meisten von ihnen sind als Touristen in Venedig.«
    Er blickte Gabriel an und betrachtete forschend sein Gesicht, als könne er darauf die charakteristischen Spuren einer in einem Kibbuz im Jesreel-Tal verbrachten Kindheit entdecken.
    »Welches Interesse haben Sie an dieser Sache, Signor Delvecchio? Und bevor Sie antworten, sollten Sie sich bitte ins Gedächtnis zurückrufen, daß Sie mit einem Rabbi sprechen.«
    »Das gehört leider in die Kategorie unangenehmer Fragen, die man mir lieber nicht stellen sollte.«
    »Ich habe befürchtet, daß Sie das sagen würden. Bedenken Sie nur eines: In diesem Teil der Welt haben die Menschen ein langes Gedächtnis, und die Dinge stehen nicht gut für uns. Der Krieg, die Selbstmordanschläge … Sie könnten in ein Wespennest stechen. Treten Sie also zurückhaltend auf, mein Freund. Unseretwegen.«

11
    R OM
    Das Restaurant »L'Eau Vive« gehörte zu den wenigen Orten in Rom, an denen sich Carlo Casagrande ohne Leibwächter wohlfühlte. Es lag unweit des Pantheons in der engen Via Monterone, wo sein Eingang lediglich durch ein Paar leise zischender Gaslaternen auszumachen war. Beim Betreten des Restaurants sah Casagrande sich sofort einer großen Muttergottesstatue gegenüber. Eine Frau begrüßte ihn herzlich mit seinem Namen und nahm ihm Hut und Mantel ab. Sie hatte kaffeebraune Haut und trug ein farbenprächtiges Kleid aus ihrer Heimat, der Elfenbeinküste. Wie das gesamte Personal im »L'Eau Vive«

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