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Die Lokomotive (German Edition)

Die Lokomotive (German Edition)

Titel: Die Lokomotive (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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sich.
      I’ll be ready in a minute…
      „Schnell!“, rief er zurück.
      Aufgrund des Scheinwerferlichts konnte ich das Leuchten des Displays nirgends sehen.
      Yeah you were always fucking late, you were late for your own fucking funeral, und der Schuss.
      Ich sah das Handy hinter einem Geflecht aus Kupferdraht, der in dem blutroten Boden steckte, wo ich zuvor gelegen haben musste. Dahinter glühte das Display blau.
      Mit der Hand versuchte ich durch das Hindernis nach dem Telefon zu greifen, aber das künstliche Gitter war zu verzweigt, als dass ich meinen ganzen Arm hindurchschieben konnte.
      Eine tiefe Männerstimme sprach langsam auf die Mobilbox, „Julia  ... hier ist dein Vater ... ich weiß, du hast noch nicht Geburtstag ... aber deine Mutter hat mich angerufen ... das kommt ja auch nicht oft vor  ...“ Er war betrunken, das hörte ich deutlich an seiner schleppenden Stimme.
      „Gehen Sie ran!“
      „Das versuche ich ja!“
      Ohne zu überlegen, begann ich zu graben, schmiss den Schlick mit beiden Händen hinter mich, um einen Weg zum Handy zu finden, „Keiner weiß, wo du bist ... du hattest wohl einen wichtigen Termin  ... verpasst ... wo bist du denn?“
      Tatsächlich, die kupferne Barriere zwischen mir und dem Handy hatte sich nicht allzu weit in den Matsch gebohrt, und ich konnte meinen Arm schmatzend durch den rotbraunen Schlick schieben. Und als ich meinen Kopf ganz eng an das kalte Gitter presste, berührten meine Fingerspitzen das Handy. Sehen konnte ich es nicht, so ausgestreckt, wie ich lag. Ich musste mich auf meinen Tastsinn verlassen. Trotzdem bekam ich es nicht zu fassen.
      „Herr Ochs, schnell ...“
      „Ja doch!“
      Ich wusste, dreißig Sekunden, mehr Zeit hatte ich nicht. Wie viel war noch übrig?
      „Ruf deine Mutter an, sie macht sich Sorgen. Ich mache mir auch Sorgen ... oder ruf mich an, ... aber ich muss gleich los ...“
      Ich schaufelte mit der Hand unterhalb des Handys Matsch an Seite, und es rutschte wie geplant in die Grube und in meine Hand. Es ging um jede Sekunde.
      Rasch zog ich meinen Arm zurück. Als ich es vor mir hielt, war das ganze Handy mit Matsch versifft. Tasten waren nicht erkennbar, auch das Display schimmerte nur schwach durch den Schlamm.
      „ ... du machst doch keinen Scheiß, Julia, oder? ... Du bist doch meine liebe Kleine ...“
      Ich vermutete einfach, welche die Taste zur Gesprächsannahme war und hatte Glück.
      „Hallo!“, rief ich überlaut in das Gerät hinein.
      Keine Reaktion.
      „Hallo!?“, rief ich noch einmal lauter. Sollte ich es nicht rechtzeitig geschafft haben?
      „Hallo?“, fragte er zurück, „Wer sind Sie? Julia? ...“
      „Hören Sie bitte, der Zug ist entgleist, und ...“
      Er brüllte, „Wo ist meine Tochter. Wo ist Julia? Was haben Sie mit meiner Tochter gemacht?“
      „Ich habe nichts mit ihrer Tochter gemacht. Hören Sie zu! Der Zug ist entgleist, und es gibt Überlebende unter ...“
      „Was machen Sie mit meiner Tochter in einem Zug, wer sind Sie?“
      „Thomas Ochs. Ich habe nur das Handy von ihrer Tochter …”
      „Wie kommen Sie an Julias Handy? Geben Sie mir meine Tochter, sofort!“, brüllte er.
      „Ich weiß nicht, wo ihre Tochter ist ...“
      „Wie kommen Sie dann an das Handy?“
      „Ich sagte Ihnen schon ... ein Zugunglück ...“
      Ich hörte Herrn Baehr rufen, „Sagen Sie ihm: der Zug nach Sylt!“
      Julias Vater war außer sich, „Juuuliaaa ... Juliaaaa ... ich rufe die Bullen ... Julia!“
      „Beruhigen Sie sich ...“
      Das Handy piepte, wahrscheinlich ein zweiter Anrufer.
      „Julia!“
      „Bitte ... be ... der Zug nach Sylt ...“
      „Juliaaa ...“
      „... ist entgleist ...“
      „Ju ...“
      Endlich schwieg er. Er hatte verstanden. Ich nutzte meine Chance. Vorsichtig, mit ruhiger Stimme, aber so schnell, dass er mich nicht unterbrechen konnte, redete ich auf ihn ein, „Hören Sie, ich weiß wirklich nicht, wo ihre Tochter Julia ist, ich habe nur ihr Telefon gefunden, wichtig ist, dass Sie jemandem sagen, jemanden anrufen, dass sich noch Überlebende unter den Trümmern befinden, in dem Zug nach Sylt, neben dem Damm, mindestens zwei, ja?“
      Es müsste schon in den Nachrichten sein. Ich wartete auf eine Antwort.
      „Hören Sie ... hören Sie?“, fragte ich laut, warf einen Blick auf das Display und wischte den Schlamm ab. Das matte Anthrazitgrau des toten Displays. Der Akku war leer.

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