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Die Lokomotive (German Edition)

Die Lokomotive (German Edition)

Titel: Die Lokomotive (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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flüsterte, „Du bist schlimmer als ein Geier.“
      Warum?
      Na, du wartest doch nur darauf, dass ich verrecke und du dich über mich hermachen kannst.
      Ich lebe nicht nur von Aas, auch von Kleinstlebewesen.
      Ach.
      Ja. Und ich warte nicht auf dich.
      Entschuldigung.
      Ich verzeihe dir.
      Er kratzte mit einem Bein über den Boden, als malte er ein Zeichen in den Matsch, dann marschierte er beinahe erhaben durch unsere sarkastische Welt und verschwand zwischen einem Haufen Brettern.
      Ich krempelte die Taschen meines Sakkos um, ich wollte ganz sicher sein, dass ich nichts wegwerfen würde, was ich später noch einmal gebrauchen könnte. Alles, was ich fand, war der zerknüllte Kassenzettel der Trockenreinigung. Mit zwei Fingern flitschte ich das Papier zwischen die Trümmer und stopfte das Sakko in eine Nische.
      Das Durchsuchen meines Sakkos hätte ich mir sparen können. Hatte ich erwartet, jemand hätte mir heimlich eine Taschenlampe und ein Schweizer Messer zugesteckt?
      War es eigentlich schwerer mich hier zu bergen als in meiner Höhle, die ich verlassen hatte?
      Ich rief nach Herrn Baehr.
      Keine Antwort.
      Wie gerne wäre ich jetzt bei Lilli gewesen, oder Francesca.
      Ich rieb mir meine Arme. Der linke Ärmel meines weißen Hemdes war bis zur Schulter blutgetränkt. Mein Verstand wollte ihn hochkrempeln, damit ich ihn nicht mehr so deutlich erkannte, meine Hand wollte ihn nicht berühren. Meine Hand gewann.
     
     
    Als ich um eine zerknitterte Stahlplatte fasste, damit ich mich weiterziehen konnte, schrie ich vor Schmerz auf. Etwas hatte in meine linke Hand geschnitten. Trotz der Kälte spürte ich deutlich den scharfen Gegenstand, der durch mein Fleisch ritzte, als ich zurückzog.   Vom Handballen erstreckte sich eine Risswunde bis zum Ansatz des Mittelfingers. Ausgefranste Hautfetzen standen zu beiden Seiten der Wunde ab. Mir wurde schlecht.
      Meine Hand zitterte, Blut tropfte zu Boden. Der Schnitt war im Handballen am tiefsten, mit zwei Fingern kniff ich die Wunde zusammen.
      Ich fluchte leise und schob mich auf meinen Ellbogen weiter, bis mein Gesicht auf gleicher Höhe mit der Stahlplatte war. Hinter ihr verbargen sich die großen länglichen Scherben einer zersplitterten Neonröhre.
      Meine Hände waren dreckig vom Matsch und Blut und dem Staub, der sich auf alles gelegt hatte. Da hier das Licht des Scheinwerfers bei weitem nicht so stark strahlte wie in meiner Höhle, waren Blut und Dreck kaum zu unterscheiden. Vielleicht war das auch gut so.
      Dunkel suchte sich die Blutspur ihren Weg aus meiner Handfläche auf die Rückseite, von wo aus sie auf den Boden tropfte. Wasser, um die Wunde zu säubern, war nirgends zu sehen, ganz zu schweigen von einem Sterilisationsmittel oder Verbandszeug.
      Dennoch musste die Wunde verbunden werden. Halbherzig schaute ich mich um. Natürlich fand sich im Umkreis jedes erdenkliche Trümmerteil, aber kein Stoff.
      Mein Blick fiel auf das Sakko, der Stoff dürfte zu dick sein. Außerdem hatte ich keine Schere oder Messer dabei. Die scharfen Scherben der Neonlampe als Werkzeug zu benutzen, war mir zu gefährlich. Weitere Verletzungen wollte ich vermeiden. Blieb nur, mein Hemd in Streifen zu reißen.
      Was in Filmen immer ganz leicht aussah, erwies sich in Wirklichkeit als gar nicht so einfach, vor allem, wenn man nur eine Hand benutzen konnte.
      Nach einigen Fehlversuchen, vergeblichen Anstrengungen, die nur mehr Blut aus der Wunde pumpten, kam mir die richtige Idee. Ich stülpte das Hemd über die schärfste Metallkante, die ich finden konnte, und rollte mich Stück für Stück zurück. Durch mein eigenes Gewicht riss der Hemdstoff mit Leichtigkeit. Es bedurfte etlicher Versuche, bis ich einen brauchbaren Streifen Stoff in der gesunden Hand hielt, der mir von Länge und Breite als Verband dienen konnte.
      Nachdem ich ihn mir umgelegt hatte, stellte der Knoten ein Problem dar. Das eine Ende musste ich mit meinen Zähnen festhalten, damit ich mit der Hand den Verband straffen konnte.
      Das Ergebnis ließ sich sehen. Dafür, dass ich noch nie jemandem einen Verband anlegen musste, saß der notdürftige weiße Fetzen fest auf der Wunde. Blut sickerte zwar bald dunkel durch, aber der Riss wurde zusammengehalten, und das Blut bekam eine Chance zu gerinnen.
      Mein Hemd schlabberte in Streifen gerissen an mir herab. Ich glich eher einem Schiffbrüchigen als dem Opfer eines Zugunglücks.
      Trotz der Schmerzen zog ich mich

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