Die Londoner Drakulia Vampire 01 - Luzifers Wüstling
Traum trugen Sie genau das. Als Sie von der Brücke fielen.“
Voss verstummte, erneut von Interesse angestachelt. Faszinierend, aber es weckte dennoch keine Furcht in ihm. Er wusste ja um die Unmöglichkeit der Sache. Brickbank schien ebenso sprachlos.
Bevor einer von ihnen sprechen konnte, nickte Miss Woodmore kurz und sagte, „nun gut. Ich habe meine Pflicht getan. Wenn die Herrschaften mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich habe bereits eine andere Verpflichtung.“
Und sie rauschte davon mit deutlich mehr Aplomb, als eine junge Dame eigentlich haben dürfte.
~*~
„Was sehen Sie, Miss Woodmore?“
Angelica öffnete ihre Augen und bemühte sich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. „Ich brauch einen Moment“, erklärte sie Miss Yarmouth. Zum dritten Mal schon. „Und viel Konzentration. Auch ... Schweigen.“
In der Hoffnung, ihre neugierige Klientin würde den Hinweis verstehen, schloss Angelica erneut die Augen und befühlte den Handschuh von Baron Framingham. Sie wusste nicht, wie Miss Yarmouth dem Baron dieses Accessoire entwendet hatte, aber das war nicht ihre Sorge.
Endlich spürte sie, wie das vertraute Kribbeln über sie kam, und Angelica konzentrierte sich auf die auftauchenden Bilder. Es ähnelte diesem Moment zwischen Schlaf und Erwachen. ... wo man sich der Bilder bewusst war, die einem innen über die Augenlider huschten, aber wo man keine Kontrolle über die Inhalte derselben hatte.
Wenn sie es schaffte, diesen Zustand heraufzubeschwören, war ihre Vision immer ein Bild, ein einzelnes Bild. Und obschon es sich nicht veränderte, erlaubte es ihr, all seine Einzelheiten wahrzunehmen. Einen kurzen, klar festgehaltenen Augenblick nur, da der letzte Hauch des Lebens entwich.
„Er ist viel älter. Fünfzig vielleicht. Er hat eine Glatze, viele Falten. Liegt im Bett. Augen geschlossen.“ Sie zählte ihre Eindrücke auf, so wie diese ihr erschienen. „Das Fenster dort ... da ist Sonnenschein, und die Bäume haben Blätter. Viele Blätter. Vielleicht Sommer. Ach! Ich vermag nicht zu erkennen, ob jemand bei ihm ist.“ Das war eine kleine Lüge, denn sie sah dort eine Frau, die überhaupt nicht wie Miss Yarmouth aussah.
Aber das könnte alles Mögliche heißen – eine Bedienstete, eine Pflegerin, eine Schwester – und sie gab niemals eine bestenfalls vage Information weiter, welche die Frau zu einer Entscheidung in die eine oder andere Richtung drängen würde.
„Hat er einen Bart?“, fragte die junge Frau mit gedämpfter Stimme. „Ist er rasiert?“
„Weder Bart noch Koteletten. Es scheint keine Verletzung irgendeiner Art zu geben, aber sein Gesicht ist gezeichnet und fahl.“ Angelica öffnete die Augen. „Ich glaube, er stirbt an Altersschwäche oder an einer Krankheit. Und seiner gealterten Erscheinung nach, auch wegen der ausgefallenen Haare, würde ich vermuten, dass es in zehn Jahren oder mehr eintreten wird.“ Sie blickte Miss Yarmouth an. „Sie müssen nun entscheiden, ob Sie es ertragen, für so eine lange Zeit mit dem Mann verheiratet zu sein.“
Der neugierigen, ungeduldigen Miss Yarmouth schien an Angelicas Rat nur wenig zu liegen. „Aber Sie haben mir nur sehr wenig erzählt. Wie kann ich denn damit eine Entscheidung treffen?“
Angelica steckte die zweite Münze etwas tiefer in ihren Pompadour. „Sie verfügen jetzt über mehr Informationen, um eine Entscheidung zu treffen, als Sie früher am heutigen Abend hatten. Und über mehr Informationen, als irgendwer anderes Ihnen geben könnte.“
Vielleicht abgesehen von Sonia, möglicherweise. Aber das war nun unwahrscheinlich, denn Angelica wusste, dass ihre jüngere Schwester eine ganz andere Haltung zur Gabe des Zweiten Gesichts hatte als sie selbst. Wohingegen Angelica gelernt hatte, nicht nur damit zu leben, sondern die Gabe auch voll und ganz anzunehmen, betrachtete Sonia ihre Ausprägung davon als einen Fluch und war deswegen auch einer Klosterschule beigetreten. Sie hatte das Bedürfnis, sich vor der Gabe zu schützen – oder vielleicht auch, sich gegen diese abzuschirmen.
Angelica erhob sich von dem kleinen Stuhl in einer Ecke des Ruheraums – von wo sie zuvor die Angestellten und andere Damen kurzerhand hinauskomplimentiert hatte – und sah auf die andere Frau hinunter. „Das Bild, das zu mir kommt, ist nur das Abbild des Todesmoments. Im Unterschied zur heutigen Vision ist es bisweilen nicht einfach, die Todesursache oder sogar Zeitpunkt und Ort zu bestimmen. Wenn
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