Die Ludwig-Verschwörung
der Pistole aus und zog sie Steven von rechts nach links über die Schläfe. Der Antiquar taumelte nach hinten, ihm wurde schwarz vor Augen, und er brach zusammen.
Erstaunlicherweise verlor er jedoch nicht vollständig das Bewusstsein, offenbar war der Schlag nicht fest genug gewesen. Vom Boden aus sah Steven nur wenige Meter vor ihm den toten Vorsitzenden der Guglmänner in seinem Blut liegen. Verzweifelt beobachtete er, wie der Riese durch die Nebelschwaden auf Sara zustapfte, die sich offensichtlich beruhigt hatte. In ihren Augen glomm ein Feuer, das Steven noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte.
»Noch einen Schritt, du kastrierter Ochse«, zischte sie, »und ich kratz dir das andere Auge auch noch aus!«
»Das glaub ich kaum«, schnurrte der Riese. »Diesmal bin ich vorsichtiger.« Er deutete mit der Pistole auf die Leiche des Nautoniers. »Ich nehme nicht an, dass du so enden willst wie er. Also stell dieses verfluchte Kästchen ganz langsam auf den Boden, verstanden?«
Sara nickte und bückte sich, um den Behälter mit dem Buch abzustellen. Zuerst wunderte sich Steven, dass sich die Kunstdetektivin so schnell fügte, doch dann sah er, wie Saras Blick hektisch über den Boden wanderte.
Sie sucht ihre Handtasche!, durchfuhr es ihn. Sie sucht die Tasche mit der Pistole!
Vorsichtig drehte der Antiquar den Kopf auf die andere Seite. Dort, nur zwei Meter von ihm entfernt, lag Saras grüne Damenhandtasche! Schnell überschlug Steven im Kopf, wie lange er wohl brauchen würde, um die Pistole zu ziehen und zu schießen. Zwei Sekunden, um mit seinem dröhnenden Schädel aufzuspringen und nach der Tasche zu greifen. Dazu mindestens drei weitere, um den Reißverschluss zu öffnen, die Waffe zu zücken und abzudrücken.
Fünf Sekunden, das ist zu viel, verdammt!
Es sei denn, jemand würde den Riesen ablenken …
In diesem Augenblick trafen sich seine und Saras Blicke. Die Detektivin schien seine Gedanken erraten zu haben, denn kaum stand sie wieder aufrecht, richtete sie ihr Wort an den Hünen mit der Pistole.
»Ich weiß zwar nicht, was du mit dem Kästchen anfangen willst, aber bitte sehr, bedien dich«, sagte sie mit fester Stimme. »Das Buch musst du allerdings woanders suchen.«
Der Riese funkelte sie grimmig an. »Was meinst du damit?«
»Dass das Buch nicht in dem Kästchen ist, du bornierter Trottel! Der Antiquar hat es irgendwo versteckt. Aber leider hast du ihn ja niedergeschlagen, und ich hab keine Ahnung, wo es ist. Jetzt lass dir schleunigst was einfallen, bevor dein Auftraggeber richtig böse wird.«
»Ich warne dich, wenn du mich verarschst …«Der Hüne beugte sich zu dem Behälter hinunter und hob ihn auf. Neugierig öffnete er das Kästchen.
Im gleichen Moment sprang Steven hoch und rannte auf die Tasche zu, die Sekunden schienen sich endlos in die Länge zu ziehen. Er griff nach dem Bündel, öffnete den Reißverschluss und zog die Pistole hervor. Zitternd richtete er sie auf den erstarrten Riesen und drückte ab.
Nichts geschah.
»Du musst eine Waffe immer erst entsichern«, sagte der Hüne lächelnd und deutete auf einen kleinen Hebel am Griff seiner Pistole. » Meine Waffe ist übrigens entsichert.« Gemächlich richtete er die Pistole auf Stevens Beine. »Der Chef hat zwar gesagt, er will dich lebend, aber er hat nicht gesagt, in welchem Zustand«, brummte er. »Pass auf, gleich tut es sehr, sehr weh.«
Steven schloss die Augen und wartete auf den Schuss.
Doch er kam nicht.
Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass der Riese verwirrt auf den Durchgang zu seiner Linken starrte. Dort stand im lichter werdenden Nebel eine breitschultrige Gestalt im weiten Königsmantel, die Hand mahnend zum Gruß erhoben, das vom Rauch umwehte schwarzhaarige Haupt zornig nach vorne gereckt.
Es war Ludwig II.
Steven blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Kein Zweifel, der Mann im Nebel war kein anderer als der Märchenkönig! Ungläubig schloss Steven die Augen und öffnete sie wieder. Doch der König war noch immer da.
Werde ich langsam verrückt? Ist in dem Rauch irgendetwas, was Halluzinationen auslöst?
Auch der Riese wirkte zunächst verblüfft. Er schien die Situation nicht richtig einordnen zu können. Langsam senkte er die Waffe.
»Aber Euer Majestät«, stammelte er. »Ihr hier? Ich dachte …«
»Halte ein in deinem Tun, Unwürdiger«, ertönte eine tiefe dröhnende Stimme. »Bevor dich mein Zorn wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel trifft!«
Als Steven die Stimme hörte,
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