Die Lüge
stottern hören. Die Erleichterung, dass es auch bei ihm funktionierte, flutete wie eine warme Welle durch ihren Körper. Sie nickte nur. Er setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber und schüttelte den Kopf. «Sie müssen entschuldigen, wenn ich Sie so anstarre. Aber die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend.»
«Ja, die Natur erlaubt sich manchmal seltsame Scherze», sagte sie und forderte ihn auf, etwas über ihre Doppelgängerin und die Umstände ihres Todes zu erzählen, ehe sie ihm erklärte, was sie mit seiner Exfrau zu tun gehabt hatte.
Dass Dieter sich darauf einließ, grenzte an ein Wunder. Früher hatte man von ihm nichts bekommen, ehe die Gegenleistung auf dem Tisch lag. Aber er stand wohl noch unter dem Schock der Ereignisse und vor einigen Rätseln. Darüber hinaus war er überzeugt, der Frau gegenüberzusitzen, nach der die Polizei bereits suchte. Doch das begriff sie erst im weiteren Verlauf des Gesprächs.
Die Wirtin brachte ihm einen Kaffee. Seine Augen glitten zum Fenster. Seine Stimme hatte immer noch nicht ganz die frühere Festigkeit zurückgewonnen. Er hatte am vergangenen Nachmittag die Leiche identifizieren müssen. Dass die Polizei ihn so schnell ausfindig gemacht hatte – und bisher keine Zweifel an der Identität der Toten aufgekommen waren –, erklärte sich mit Ausweispapieren in der Handtasche, die ebenfalls im Container gelegen hatte. Ein Reisepass, einErsatzführerschein und ein Personalausweis, der wie der Reisepass erst Mitte September ausgestellt worden war.
Dem Anschein nach habe Susanne Anfang August ihre Papiere verloren und neue beantragt, erklärte Dieter. Ob die Polizei in der Wohnung einen älteren Ausweis und den Originalführerschein gefunden hatte, war ihm nicht bekannt. Von einer Bordtasche im Container wusste er auch nichts, nur, dass sie vergebens nach Haus- und Wohnungsschlüssel gesucht hatten und annahmen, der Mörder habe die Schlüssel mitgenommen.
Über die Umstände ihres Todes könne er im Prinzip gar nichts sagen, fuhr er fort. Das Obduktionsergebnis kenne er, doch das werfe für ihn mehr Fragen auf, als es beantworte. Es sei Susanne entschieden mehr angetan worden, als sie nur zu überfahren. Beide Hände waren mit Benzin übergossen und angezündet worden, nicht etwa postmortal. Und einige Scheußlichkeiten mehr, ehe man ihr mit einem Auto den Rest gab. Zweimal sei sie überfahren worden. Todeszeitpunkt später Samstagabend beziehungsweise in der Nacht zum Sonntag. Auf die Stunde genau ließe sich das nicht bestimmen.
«Die Polizei erhoffte sich von mir Auskünfte», sagte er. «Aber ich konnte ihnen nicht helfen. Ich hatte nach der Scheidung keinen Kontakt mehr zu Susanne und weiß nicht, mit wem oder worauf sie sich eingelassen hatte.»
Endlich löste er den Blick vom Fenster. «Die Polizei sucht in Susannes Umfeld nach einer Bekannten, die sie am Donnerstag unter einem Vorwand von ihrem Arbeitsplatz weggelockt hat. Am Freitag hat – vermutlich dieselbe Frau – erneut in der Confiserie angerufen und ihr ein Auto zur Verfügung gestellt. Das muss nichts mit ihrer Ermordung zu tun haben. Vielleicht haben die beiden Frauen donnerstags nur einen Einkaufsbummel gemacht. Aber die Beamten würden natürlich gerne einmal mit dieser Bekannten reden.»
Er fixierte sie, als fordere er sie auf, zuzugeben, dass sie es sei. Als sie schwieg, erzählte er erst einmal weiter. Von Heller, der am späten Freitagabend erstochen worden war – nach Ansicht der Polizei von dem Saufkumpan, mit dem er sich zuvor in der Kneipe geprügelt hatte. Die Polizei ging von einem Zusammenhang zwischen den beiden Fällen aus. Zwei Bewohner desselben Hauses innerhalb kürzester Zeit, da lag es nahe, an eine Verbindung zu denken. Umso mehr, als Susanne laut Auskunft ihrer Mutter Heller näher gekannt haben sollte. Sie müsse nach der Scheidung sehr tief gesunken sein, meinte Dieter, wenn sie sich mit einem mehrfach vorbestraften Sauf- und Raufbold eingelassen habe.
Hatte sie Hellers Mörder gesehen und deshalb sterben müssen? Samstags sei sie sehr nervös gewesen, hatten ihre Kolleginnen aus der Confiserie zu Protokoll gegeben. Aber wenn sie etwas beobachtet hatte, warum war sie nicht sofort zur Polizei gegangen? Wenn es sich um denselben Täter handelte, der nur eine unliebsame Zeugin beseitigen wollte, warum diese Tortur? Warum war ihre Wohnung aufgebrochen und verwüstet worden? Für Dieter sah das so aus, als habe der Mörder etwas gesucht. Warum hatte niemand im Haus
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