Die Luft, die du atmest
Wange und strich Maddie zärtlich übers Haar.
Sie wehrte sich kichernd. Dann umschlang sie ihn mit beiden Armen. «Ich liebe dich, Dad.»
«Ich liebe dich auch, Prinzessin. Ich ruf später nochmal an. Tschüs, Ann.»
«Tschüs.»
«Es war nett, Sie kennenzulernen», sagte Shazia, und dann waren sie weg. Die Küchentür fiel ins Schloss.
«Mom», sagte Kate.
«Mach dir keine Sorgen, Schatz. Dad schafft das schon.» Ann holte ein Glas Spaghettisoße aus dem Schrank und setzte einen Topf auf. Kates vorwurfsvollem Blick wich sie aus.
«Was ist das denn?» Maddie betrachtete verwundert die Büchse, die sie aus einer Einkaufstüte gezogen hatte.
«Proteinpulver. Für Shakes.»
«Für Milchshakes?»
«So was Ähnliches.» Draußen sprang brummend der Motor an. Peter würde sicher eine Lösung finden, dachte Ann. Und wenn nicht? Am Ende musste er noch in seinem Pickup übernachten. Sie dachte an den durchgedrehten Mob im Supermarkt, den Mann und die Frau, die ihr das Wasser gestohlen hatten. Wenn nun wirklich Unruhen ausbrachen, was dann? Unausdenkbar. Sie schraubte das Glas mit der Soße auf, schüttete den Inhalt in den Topf und starrte in die rote Pampe.
Sie spürte, dass Kate sie noch immer beobachtete. Als sie aufschaute, begegneten sich ihre Blicke. «Ich bin gleich wieder da.»
Peters Pick-up stand noch in der Einfahrt. Die beiden unterhielten sich. Shazia sah Ann zuerst und machte Peter auf sie aufmerksam.
Er ließ die Scheibe herunter. «Ist noch was?»
Ann sagte nichts. Hinter sich wusste sie das große Haus. Dievielen Zimmer, etliche davon leer. Ihr blieb gar nichts anderes übrig.
«Ann?»
«Ihr solltet hierbleiben», sagte sie. Er wirkte verblüfft. Wie furchtbar. Wie weit war es eigentlich mit ihnen gekommen, dass ihn ihre Hilfsbereitschaft sprachlos machte? «Beide.»
«Ann.»
«Wir haben mehr als genug Platz.» Vier Schlafzimmer und eine ausziehbare Couch im Keller. Er bezahlte die Hypothek. Er war so großzügig gewesen, ihr das Haus und die Möbel zu überlassen, und hatte bloß seine Kleidung und eine Musikanlage mitgenommen.
Trotzdem, wie kam sie dazu, den Mann, von dem sie sich gerade scheiden ließ, und das junge Mädchen, das wahrscheinlich seine neue Freundin war, zum Bleiben zu überreden?
«Ich weiß, dass es komisch klingt», sagte sie. «Aber es sind ungewöhnliche Umstände.»
Er blickte zwischen Ann und Shazia hin und her. «Vielleicht einfach nur, bis ich das regeln kann.»
Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er hatte sich Sorgen gemacht. Es war dunkel und kalt da draußen. Wie hatte sie nur zögern können? Bekräftigend pochte sie an die Wagentür. «Dann sind wir uns also einig.»
Sie drehte sich um und ging zurück ins Haus. Hinter ihr wurden der Motor ausgestellt und die Autotüren aufgemacht. Erst eine, dann die andere.
Ungewöhnliche Umstände. Das konnte man wohl sagen.
ELF
Peter quetschte seine Jacke in die Garderobe zwischen die bunten Mäntel seiner Töchter, die fröhlich wirkten gegen das Hellbraun seiner Jacke und das gedeckte Rostbraun von Anns Mantel, den sie schon viele Jahre trug. Unten standen die Stiefel. Maddies altrosa mit Leopardenmuster, Anns braun und derb und daneben ein schickes Paar aus schwarzem Glattleder mit aufgesticktem weißem Muster. Vermutlich von Kate. Sie hatte Cowboystiefel schon immer gemocht. Ihr erstes Paar, in knalligem Kirschrot, hatte sie so geliebt, dass sie darauf bestanden hatte, immer nur diese Schuhe zu tragen, zum Einkaufen, zum Spielen bei anderen Kindern, sogar im Bett. Wenn sie eingeschlafen war, waren Ann oder er auf Zehenspitzen in ihr Zimmer geschlichen, um sie ihr vorsichtig auszuziehen. Morgens hatte sie dann gähnend in der Küchentür gestanden, noch im Nachthemd, aber schon mit den Stiefeln an den Füßen. Wie alt mochte sie gewesen sein? Zwei? Vielleicht drei. Sie hatte sehr geweint, als sie ihr zu klein geworden waren und Ann nicht noch einmal die gleichen in größer finden konnte.
In der Küche riss Ann eine Packung Nudeln auf und gab den Inhalt in kochendes Wasser. Als er hereinkam, sah sie sich zu ihm um und strich sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Heute gibt’s nur Fertigsoße.»
Peter dachte an ihre selbstgemachte Spaghettisoße mitkleingehackten Zwiebeln, Knoblauch und viel frischem Paprika. Er fragte sich, ob ihr neben der Arbeit keine Zeit mehr zum Kochen blieb oder ob sie und die Mädchen inzwischen einfach andere Essgewohnheiten hatten. Irgendwie
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