Die Luft, die du atmest
vorbei.
Ann tippte den Code für das Garagentor ein, während Libby anfing, Einkaufstüten auszuladen und sie in der Einfahrt aufzureihen. Ann humpelte zur Heckklappe und wuchtete eine schwere Tüte heraus. «Die Sachen schaffe ich alleine ins Haus. Fahr weiter und gib Jacob was zu essen.»
Bevor Libby wieder einstieg, deutete sie mit dem Kinn auf den Pick-up. «Ruf mich an, ja?»
«Klar.»
Als das Auto rückwärts aus der Einfahrt fuhr, ging das Außenlicht an, und die Garagentür fuhr rumpelnd nach oben. Kate und Maddie erschienen in der Haustür.
«Mom!» Kate hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr Gesicht war wutverzerrt. «Wo warst du so lange?»
«Beim Tätowieren.»
Maddie hüpfte zu ihr. «Echt?»
«Nein, das war nur Spaß.» Ann reichte Maddie das Toilettenpapier. Warum war Kate so böse? Bestimmt nicht, weil es mit dem Essen spät wurde. Vielleicht war sie bloß sauer, dass sie so lange auf Maddie hatte aufpassen müssen. Oder es lag an Peters unerwartetem Besuch. «Ihr wisst, wo ich war. Nimm du die Milch, Kate.»
Maddie umschlang das Toilettenpapier mit beiden Armen. «Dad ist da.» Sie strahlte über das ganze Gesicht.
«Das sehe ich.» Peter stand in der Küchentür. Er war nicht allein. Jemand stand neben ihm. Eine große, schlanke Frau in einem ordentlich gegürteten Mantel und Stiefeln mit hohen Absätzen. Ihr dunkles Haar glänzte im Licht der Küchenlampe hinter ihr. Seine neue Freundin? Die Vorstellung versetzte ihr einen Stich. Ann schoss durch den Kopf, wie sie aussah, die offenen schulterlangen Haare strähnig, ihr Lippenstift seit Stunden nicht erneuert, das Loch vorne in ihrem Turnschuh, der hässliche, pulsierende blaue Fleck an ihrem Schienbein. O Gott. Das war kaum der richtige Zeitpunkt, sie packte das jetzt nicht. Peter hätte sie vorwarnen müssen, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich wenigstens geistig darauf vorzubereiten. Sie hob das Kinn und bemühte sich um äußerliche Ruhe.
Peter kam die Stufen herunter. «Brauchst du Hilfe?» Er schnappte sich zwei Tüten.
«Geht schon. Warum bist du hier?» Sie blieben stehen und sahen sich an. Keine Krawatte. Dann war heute sein Labortag. Er trug ein Hemd, das Ann noch nie gesehen hatte, in einem kräftigen Gelb, das sie vermutlich nie ausgesucht hätte. Sie fragte sich, wer jetzt wohl mit ihm einkaufen ging. Peter war immer ein hoffnungsloser Fall gewesen, wenn es um Details wie die Ärmellänge oder Kragenweite ging. Das alles war ihm völliggleich, so lange es nur schnell ging. Ann war gern durch die Herrenabteilung geschlendert, hatte über schöne Baumwollstoffe gestrichen oder Krawatten dagegengehalten. Sie warf der Frau an der Küchentür einen Blick zu und fragte sich, ob es ihr auch so viel Freude machte, Peter zu umsorgen, wie ihr früher.
«Die Mädchen haben mich angerufen», sagte Peter. «Sie konnten dich nicht erreichen.»
Mit so was hatten sie doch eigentlich längst aufgehört. «Mein Handy war ganz unten im Einkaufswagen vergraben.»
«Kate hat die Nachrichten gesehen und sich Sorgen gemacht. Sie hat über eine Stunde lang versucht, dich zu erreichen. Und ich ebenso.»
«Ich habe ihr gesagt, sie soll den Fernseher auslassen. Konnte sie nicht warten, bis ich wieder da bin?»
«Sie hatte Angst, Ann.»
Wollte er ihr etwa Vorwürfe machen, dass sie die Mädchen alleingelassen hatte? «Es war die Hölle, Peter. Die Leute haben sich benommen wie die Irren. Es war besser, die Mädchen nicht mitzunehmen. Bloß weil Kate durchgedreht ist –»
«Ich bin nicht durchgedreht.» Wütend trat Kate zu ihnen. «Ich war sauer. Du hast gesagt, du bist gleich wieder da, aber du bist ewig weggeblieben. Du hast mir nicht einmal gesagt, in welchen Supermarkt ihr fahrt.»
Ann war verdutzt. Wieso wollte sie das plötzlich wissen?
«Dad ist wenigstens an sein Handy gegangen.» Kate legte so viel Gift in diesen kurzen Satz, wie sie konnte. «Gott, Mom. Wie viel Milch hast du denn gekauft?»
So viel, wie ich konnte.
«Pack sie in die große Gefriertruhe.» Kate marschierte mit gerötetem, verquollenem Gesicht davon, und Ann dachte: Sie hat sich wirklich Sorgen gemacht.
Die junge Frau stand immer noch in der Küchentür. Sie machte unbeholfen Platz, um Ann durchzulassen.
Ann blieb stehen und sagte: «Hallo.»
Sie war viel jünger, als Ann zunächst gedacht hatte. Mitte zwanzig vielleicht. Höchstens dreißig. Und sie war sehr, sehr hübsch.
Die junge Frau lächelte schüchtern. «Guten Tag, Mrs. … ich meine
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