Die Luft, die uns traegt
müde, von Coras Neugier überfordert. Ich glaube sogar, dass ich vielleicht noch zynischer bin, als Addie es war , möchte sie sagen, tut es aber nicht. Und jetzt macht mir das Angst .
»Weißt du«, beginnt sie stattdessen, vielleicht nur, um das Thema zu wechseln, vielleicht wegen all der Fragen, die sie nun selbst hat, »diese ganzen Gespräche und Witze über K-Strategen haben mich immer ein bisschen verwirrt. Mag sein, dass das nur kindlicher Egoismus war, aber mir kam es immer so vor, als würden sich diese Bemerkungen um mich drehen. Darum, dass Addie und Tom keine weiteren Kinder hatten, darum, dass jeder davon ausging, dass ich unbedingt ein Geschwisterchen haben wollte. Und ich habe nie so recht begriffen, warum. Oder habe ich da was verpasst?«
Cora wirkt ratlos. Verständlicherweise, denkt Scarlet. Sie merkt, dass sie sich etwas vage ausdrückt. Sie atmet tief durch und macht einen neuen Versuch. »Was ich wohl einfach fragen möchte, ist, ob noch mehr dahintersteckte. Mehr als Addies persönliches Bestreben, den Planeten zu retten, meine ich – du weißt schon, ihren Teil dazu beizutragen, die Flut der Überbevölkerung einzudämmen.« Wieder hält sie inne, aber immer noch kommt von Cora keine Entgegnung.
»Also gut. Meine Frage lautet: Wollte Addie vielleicht noch ein Kind? Oder möglicherweise frage ich auch: Hat sie meinetwegen beschlossen, keine weiteren Kinder zu wollen? War alles irgendwie zu viel? Gab es ein Geheimnis, von dem ich nie erfahren habe?« Jetzt sieht Scarlet Cora direkt an, zwingt sich aufzuhören, nicht mehr zu enthüllen, als sie zu enthüllen bereit ist. Sie versucht, Coras Miene zu entschlüsseln. Verändert sie sich kaum merklich? Zeigt sich da eine Andeutung von Erkenntnis hinter ihrer gefurchten Stirn?
Nach kurzer Zeit schüttelt Cora langsam den Kopf. »Nein, nein«, sagt sie. »Ich weiß von keinen Geheimnissen.« Sie hält den Blick weiter auf Scarlet gerichtet, deren Augen voller ungestellter Fragen sind. »Weißt du, alle glaubten einfach immer, dass man mindestens zwei haben sollte, vermutlich haben wir
deshalb so oft darüber gesprochen, weil wir schlicht neugierig waren. Natürlich hatte Addie ihre trübsinnigen Tage, genau wie wir alle – den ganzen Tag mit einem nörgelnden Säugling zu Hause, wochenlang keine erwachsenen Gespräche, dergleichen. Aber sie hat nie erkennen lassen, dass sie etwas bereut, Scarlet.« Ihre Stimme klingt jetzt zärtlich, und Scarlet ist ihre Frage, ihre dumme Ichbezogenheit, die Cora herausgehört haben muss, plötzlich peinlich.
»Nein, nein. Reue meinte ich eigentlich nicht«, sagt sie. »Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich meine. Es sind nur diese K-Strategen-Sprüche, die ganzen Einlings-Witze und was nicht noch. Das hat mich einfach nur neugierig gemacht. Ich weiß, dass ich mich nicht klar ausdrücke…«
»Tja, wer bitte schön ist im Augenblick schon klar? Was hat Klarheit mit Addies Sterben zu tun? Hat sie selbst klar gedacht, als sie diese Behandlung abgebrochen hat und…« Cora verstummt, nimmt einen Schluck Kaffee und sieht einen Moment aus dem Fenster. Dann wendet sie sich wieder Scarlet zu und versucht zu lächeln. »In jedem Fall schienst du nicht darunter zu leiden, dass du ein Einzelkind warst. Du hattest deinen Freund Peter, und dann unsere Jungs …«
Coras Stimme stockt, und abrupt fragt Scarlet sich, warum sie ihr das antut, auf diesem Mutter-Kinder-Thema herumzureiten. »Ja, stimmt«, sagt sie und bemüht sich, das Gespräch in ruhigere Gewässer zu steuern. »Wahrscheinlich grüble ich nur über diese Einzelkindsache nach, um andere Gedanken zu vermeiden. Oder, ach, ich weiß nicht, warum. Es ist komisch, was diese letzten Tage mit Addie aufgewirbelt haben. Abgesehen von all dem großen Zeug, meine ich.«
»Ja, das ist wirklich komisch. Komisch, worüber wir plötzlich geredet haben. Ich meine, mal ehrlich, wann machen wir uns unter normalen Umständen schon Gedanken darüber,
was Hündinnen über ihre eigene Fortpflanzung beziehungsweise Nicht-Fortpflanzung denken?« Cora beugt sich über Lucy und streicht mit den Fingern über den weichen weißen Bauch des Tiers. »Aber über so was unterhält man sich unwillkürlich. Solche Dinge, die so lächerlich und irrelevant erscheinen – und dann stellt man fest, dass sie es gar nicht sind.« Jetzt faltet sie die Zeitung zusammen und beginnt, den Tisch abzuräumen, eine energische Angewohnheit, die Scarlet noch von früher kennt. Sie wappnet sich innerlich
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