Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
im Gesicht hatte. »Ich schicke Euch dann eine Tele. Wenn Eure Androidin fertig ist.«
»Danke schön, Linh-mèi.«
»Ihr könnt mich Cin…«, die Tür schloss sich zwischen ihnen, »…der nennen. Cinder. Wäre in Ordnung. Eure Hoheit.« Sie rutschte an der Wand herunter und presste die Knöchel gegen die Schläfe. »Ich schicke Euch dann eine Tele. Ihr könnt mich Cinder nennen« , äffte sie sich selber nach und biss sich auf die Unterlippe. »Achtet bitte nicht weiter auf das plappernde Mädchen.«
Er war der Traum aller Mädchen im Land. Er war so weit außerhalb ihrer Reichweite, lebte in so einer anderen Welt, dass sie in der Sekunde, in der sich die Tür zwischen ihnen schloss, aufgehört haben sollte, an ihn zu denken. Also jetzt. Und sie sollte nie wieder an ihn denken, außer vielleicht als an ihren Kunden – und ihren Prinzen.
Aber die Erinnerung an seine Hand auf ihrer Haut ließ sich nicht unterdrücken.
15
Cinder musste sich einen Plan vom Forschungsflügel des Palastes herunterladen, um den Ausgang zu finden. Ihre Nerven waren aufs Äußerste angespannt: der Prinz, Peony, überhaupt alles. Sie fühlte sich wie eine Aufschneiderin, als sie mit gesenktem Kopf durch die glatten weißen Flure lief und versuchte, Augenkontakt mit den Wissenschaftlern und den weißen Androiden zu vermeiden. Auch wenn sie jetzt tatsächlich freiwillig hier war. Und sogar wertvoll war.
Sie kam an einem Wartezimmer vorbei – das mit zwei Netscreens und drei gepolsterten Stühlen ausgestattet war – und erstarrte, als sie aus dem Fenster sah.
Der Ausblick.
Die Stadt.
Vom Boden aus gesehen war Neu-Peking ein einziges Durcheinander – zu viele Gebäude auf zu wenig Raum, die Straßen verwahrlost, Stromkabel und Wäscheleinen quer über alle Gassen gespannt, wilder Wein, der sich an den Betonwänden hochrankte.
Aber von hier aus, drei Stockwerke über der Klippe, war die Stadt schön. Die Sonne stand hoch am Himmel, und ihr Licht spiegelte sich in den Fenstern der Hochhäuser und den goldgetönten Dächern. Cinder konnte die unablässigen Bewegungen auf den riesigen Netscreens sehen und blitzschnelle Hover, die zwischen den Gebäuden umherschossen. Von hier aus spürte sie die Energie der Stadt – nur ohne das ganze Technikgeschnatter.
Cinder hielt nach den schmalen Hochhäusern aus blauem Glas und Chrom Ausschau, die um den Marktplatz herum standen, und versuchte von dort, die Straßen nach Norden zu verfolgen und den Phoenix Tower zu finden, aber in der großen Stadt mit den vielen Schatten waren sie nicht auszumachen.
Ihre Ehrfurcht verflog.
Sie musste zurückgehen. Zurück in die Wohnung, in ihr Gefängnis.
Sie musste Kais Androidin reparieren. Sie musste Iko beschützen, denn es würde keine Woche dauern, bevor Adri sie in Einzelteile zerlegt und zu Schrott erklärt oder sogar ihren »defekten« Persönlichkeitschip ersetzt hätte. Seit dem Tag, an dem Cinder bei ihr eingezogen war, hatte sie sich darüber beschwert, dass die Androidin zu störrisch sei.
Außerdem konnte sie sonst nirgends hin. Bis Dr. Erland herausfand, wie er ihren Lohn ohne Adris Wissen auf Cinders Konto einzahlen konnte, hatte sie weder Geld noch einen Hover, und ihre einzige menschliche Freundin saß in der Quarantäne fest.
Sie ballte die Fäuste.
Sie musste zurück. Aber sie würde nicht lange bleiben. Adri hatte ihr sehr deutlich gemacht, dass Cinder für sie eine wertlose Last war. Sie hatte keine Skrupel gehabt, sie bei der ersten sich bietenden gewinnbringenden Gelegenheit abzustoßen. Und sie hatte es geschafft, das auf eine Art zu tun, bei der sie sich nicht schuldig fühlen musste, denn schließlich brauchten sie ein Gegenmittel. Peony brauchte ein Gegenmittel.
Vielleicht hatte sie sogar richtig gehandelt. Vielleicht war Cinder als Cyborg verpflichtet, sich zu opfern, damit all die normalen Menschen geheilt werden konnten. Vielleicht war es auch richtig, diejenigen zu benutzen, an denen sowieso bereits herumgepfuscht worden war. Trotzdem wusste Cinder, dass sie Adri nie vergeben könnte. Diese Frau hätte sie eigentlich beschützen und ihr helfen müssen. Aber wenn Cinders Familie nur noch aus Adri und Pearl bestand, würde es ihr alleine besser gehen.
Sie musste unbedingt weg. Und sie wusste ganz genau, wie sie das anstellen würde.
Allein für Adris Gesicht, als Cinder die Wohnung betrat, hatte sich die grausame Prozedur schon fast gelohnt.
Sie saß auf dem Sofa und las etwas auf ihrem Portscreen. Pearl
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