Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
ich lasse Euch die Zunge abschneiden und ans Palasttor nageln.«
Kai erblasste. Levanas Stimme, die immer so melodiös und süß klang, war hart wie Stahl, und obwohl er sie vorher schon wütend erlebt hatte, hatte sie nie den Schleier der Diplomatie fallen lassen. »Eure Majestät …«
»Sie ist Euch entkommen! Meine Gefangene!«
»Ich versichere Euch, wir tun alles, was in unserer Macht steht …«
»Aimery, bring ihn zum Schweigen!«
Mit großen Augen fasste sich Kai an den Mund und bemerkte, dass ihm weder Zunge noch Kiefer gehorchten. Vielleicht besser, als wenn sie seine Zunge ans Palasttor nagelte, aber …
Er fixierte den Thaumaturgen in seinem makellosen roten Mantel, der charmant zurückgrinste. Eine wilde Wut stieg in ihm auf.
»Ihr tut alles, was Ihr könnt?« Levana stützte sich auf Kais Schreibtisch. Über den Netscreen hinweg, auf dem der menschenleere Gefängnisflur eingefroren war, lieferten sie sich ein Blickgefecht. »Junger Imperator, Ihr wollt mir erzählen, dass Ihr ihr nicht zu der Flucht verholfen habt? Dass es nicht von Anfang an Eure Absicht war, mich auf Eurem Grund und Boden zu erniedrigen?«
Kai spürte, was sie sich wünschte: dass er auf die Knie fiel und sie stumm um Vergebung bat. Dass er ihr versprach, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um ihr zu genügen. Aber seine Wut war größer als seine Furcht. Da er nicht mehr sprechen konnte, verschränkte er die Arme und wartete.
Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Torin und Huy still wie Statuen, aber mit finsteren Mienen dastanden. Sybil Mira hatte die Hände zwar unschuldig in ihre elfenbeinfarbenen Ärmel gesteckt, hielt die beiden Männer aber sicherlich mit der Gehirnmagie der Lunarier im Zaum.
Nainsi, das einzige Wesen im Raum, das die Lunarier nicht mit ihren Tricks beeinflussen konnten, wurde von dem blonden Leibwächter so gedreht, dass ihr Sensor – und damit die einzige Kamera in diesem Raum – nichts aufzeichnen konnte.
Allmählich wurden die Fingerspitzen der Königin, mit denen sie sich auf der Tischplatte abstützte, weiß. »Ihr könnt doch nicht im Ernst von mir erwarten, Euch zu glauben? Dass Ihr nichts mit dieser Flucht zu tun habt?« Sie steigerte sich immer weiter in ihre Wut hinein. »Ihr scheint allerdings auch nicht allzu erschüttert.«
Kai war fassungslos, aber er ließ sich nichts anmerken. Ihm schwirrte der Kopf vor Gerüchten und Klatsch: Angeblich bemerkte Levana, wenn irgendjemand über sie sprach, überall auf Luna und selbst auf der Erde. Aber dann fiel ihm ein plausiblerer Grund ein, wie sie erfuhr, was nicht für ihre Ohren bestimmt war.
Sie hatte ihn ausspionieren lassen und vor ihm seinen Vater.
Doch Levana wartete auf seine Reaktion; und so zog er eine Augenbraue in die Höhe und hielt sich die Hand vor den Mund.
Levana schäumte und trat vom Schreibtisch zurück. Sie legte den Kopf in den Nacken, damit sie an der Nasenspitze entlang auf ihn heruntersehen konnte. »Sprecht.«
Kai spürte seine Zunge wieder und warf Aimery ein kaltes Lächeln zu. Dann tat er das Respektloseste, was ihm in den Sinn kam – er zog den Stuhl unter dem Tisch hervor, setzte sich umständlich und faltete die Hände im Schoß.
Empört blitzte Levana ihn aus ihren kohlrabenschwarzen Augen an. In diesem kurzen Moment wäre sie – beinahe – nicht mehr schön gewesen.
»Weder habe ich der Flucht Vorschub geleistet«, sagte Kai, »noch der Entflohenen in irgendeiner Weise geholfen.«
»Warum sollte ich das glauben, nachdem ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, wie entzückt Ihr von ihr auf dem Ball wart?«
Kai zuckte mit einer Augenbraue. »Wenn Ihr mir keinen Glauben schenken wollt, warum zwingt Ihr mich dann nicht zu einem Geständnis und wir hätten es hinter uns?«
»Oh, das könnte ich, Eure Majestät. Ich könnte Euch alles sagen lassen, was ich von Euch zu hören wünsche. Doch bedauerlicherweise kann ich keine Gedanken lesen, und mir geht es um die Wahrheit.«
»Dann gestattet mir auch, Euch die Wahrheit zu sagen.« Kai hoffte, eher geduldig als ungehalten zu wirken. »Der vorläufige Stand unserer Ermittlungen hat ergeben, dass sie ihre Fähigkeiten als Lunarierin und als Cyborg eingesetzt hat, um aus ihrer Zelle zu fliehen. Sollte ihr jemand aus dem Palast dazu verholfen haben, so entzieht sich das meiner Kenntnis. Offensichtlich waren wir nicht auf eine Gefangene mit solchen Fähigkeiten vorbereitet. Wir arbeiten aber an der Verbesserung der Sicherheit unserer
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