Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
und ihr mitzuteilen, dass Levana Kai erst heiraten und dann töten wollte. Sie wollte die Regentschaft über den Asiatischen Staatenbund als Sprungbrett nutzen, um von dort aus den Rest der Union Erde zu erobern. Auf Grund dieser Information war Cinder auf den Ball gestürmt. All das hatte sich erst vor ein paar Wochen ereignet und schien doch eine Ewigkeit her zu sein.
Aber sie bereute es nicht. Im Gegenteil, sie würde es wieder tun, trotz all der chaotischen Ereignisse, in die sie nach dieser einzigen unbesonnenen Entscheidung verwickelt worden war.
Dann war da Ikos Persönlichkeitschip, deutlich größer als die beiden anderen und stark verkratzt. In der oberen Ecke war ein feiner Haarriss zu erkennen und auf der anderen Seite ein fettiger Fingerabdruck, wahrscheinlich von Cinder selbst. Trotzdem war sie zuversichtlich, dass er noch funktionieren würde. Die Dienerdroidin Iko, die ihrer Stiefmutter gehört hatte, war seit langem eine ihrer engsten Freundinnen. In einem ihrer berüchtigten Wutanfälle hatte ihre Stiefmutter Iko auseinandergenommen und ihre Teile aus Rache einzeln verkauft. Nur das Unverkäufliche war übrig geblieben. Ihr Persönlichkeitschip zum Beispiel.
Als Cinder den dritten Chip von der breiten Armlehne nahm, krampfte sich ihr Herz zusammen.
Peonys ID -Chip.
Ihre jüngere Stiefschwester war vor fast zwei Wochen an der Blauen Pest gestorben. Weil Cinder ihr das Gegenmittel nicht rechtzeitig gebracht hatte. Weil sie zu spät gekommen war.
Was würde Peony von alldem halten? Dass Cinder eine Lunarierin war. Dass sie Prinzessin Selene war. Dass sie mit Kai getanzt, ihn sogar geküsst hatte …
» Oh, là, là , ist das ein Chip?«
Sie zuckte zusammen und schloss die Faust über dem Chip. Thorne setzte sich auf den anderen Sitz. »Schleich dich nicht so an mich heran!«
»Wie kommst du zu einem ID -Chip?«, fragte er und beäugte misstrauisch die beiden anderen Chips auf der Armlehne. »Wehe, einer von denen ist deiner. Nachdem du mir meinen herausgeschnitten hast.«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ist von meiner Schwester.« Sie schluckte und öffnete die Faust. Etwas getrocknetes Blut war auf ihre Handfläche gebröselt.
»Erzähl mir bloß nicht, dass sie auch aus dem Gefängnis geflohen ist. Braucht sie ihn denn nicht?«
Cinder hielt die Luft an und wartete darauf, dass der Schmerz in ihrer Brust abflaute, dann warf sie Thorne einen finsteren Blick zu.
Als er ihn auffing, dämmerte ihm die Wahrheit langsam. »Oh. Das tut mir leid.«
Unruhig schnippte sie den Chip von einem metallischen Fingerknöchel zum nächsten.
»Wie lange ist das her?«
»Ein paar Wochen.« Sie verbarg den Chip wieder in der Faust. »Sie war erst vierzehn.«
»Die Pest?«
Cinder nickte. »Die Androiden, die für die Quarantänestation zuständig waren, haben die ID -Chips der Verstorbenen gehortet. Ich glaube, sie geben sie Gefangenen und geflohenen Lunariern … allen, die eine neue Identität brauchen.« Sie legte den Chip neben die anderen. »Ich wollte auf keinen Fall, dass sie den von meiner Schwester bekommen.«
Thorne lehnte sich zurück. Er hatte sich schick gemacht – seine Haare waren akkurat gekämmt, er war frisch rasiert und roch nach einer teuren Seife. Er trug eine abgetragene Lederjacke mit einem einzigen Abzeichen am Revers, das ihn als Kapitän auswies.
»Sind die Androiden, die in der Quarantänestation arbeiten, denn nicht Eigentum der Regierung?«, fragte er und starrte durchs Fenster auf die Erde hinunter.
»Doch, ich glaube schon.« Cinder zog die Brauen zusammen. Sie hatte bisher noch nicht darüber nachgedacht, doch nun gingen ihr alle möglichen Vermutungen durch den Kopf.
Thorne sprach das Offensichtliche aus: »Warum sollte die Regierung ihre Androiden so programmieren, dass sie ID -Chips horten?«
»Vielleicht sind sie gar nicht für den Schwarzmarkt bestimmt«, sagte Cinder. »Vielleicht wischen sie sie einfach ab und recyceln sie.«
Aber das konnte sie selbst nicht glauben. ID -Chips waren billig in der Produktion, und wenn die Hinterbliebenen herausfanden, dass die Identität ihrer geliebten Verstorbenen ausgelöscht worden war, gäbe es einen Aufstand.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Was für einen Grund konnte es sonst geben? Wofür konnte die Regierung die Chips noch gebrauchen? Oder war es jemandem gelungen, die Androiden hinter dem Rücken der Regierung umzuprogrammieren?
Ihr Magen zog sich zusammen. Sie wünschte, sie könnte mit Kai sprechen.
»Und die
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