Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
und wusch es im Tümpel ab.
Seufzend holte sie die Erste-Hilfe-Ausrüstung aus der achtlos weggeworfenen Tasche. Wolf wehrte sich nicht, als sie seinen Ärmel am Einschussloch aufriss, die Wunde auswusch und verband. Die Kugel hatte seinen Bizeps tatsächlich nur gestreift.
»Tut mir leid, dass ich auf dich geschossen habe«, sagte sie, »aber du hättest ihn um ein Haar umgebracht.«
»Kann ich nachholen«, meinte Wolf trocken, während er ihr bei der Arbeit zusah.
Kopfschüttelnd klebte sie den Mullverband fest. »Er ist doch nicht dein richtiger Bruder, oder? Nennt ihr euch alle so in der Gang?«
Wolf grummelte etwas. Sagte nichts.
»Wolf?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass wir uns nicht verstehen.«
Verbittert starrte Wolf über Scarlet hinweg Löcher in Rans Rücken.
»Gut.«
Die Härte ihrer Stimme ließ Wolf aufhorchen. Er sah sie forschend an.
»Dann kennst du seine Schwachpunkte ja und weißt am besten, wie man was aus ihm rausbekommt.«
Wieder dieser mitfühlende Blick. »Wir sind dazu ausgebildet, Befragungen standzuhalten. Er wird uns nicht weiterhelfen.«
»Aber er hat uns doch schon Informationen gegeben.« Sie packte die Sachen in den Erste-Hilfe-Beutel und warf ihn in Richtung Tasche. Er verfehlte sein Ziel. »Offensichtlich weiß er irgendwas über meine Großmutter. Und dieser Auftrag, der abgeblasen worden ist – worum geht es da? Hat das irgendwas mit ihr zu tun?«
Wolf schüttelte den Kopf, aber sein Blick hatte sich verdunkelt. »Er hat uns genau das gesagt, was wir – oder ich – wissen oder glauben sollen. Ich würde mich lieber nicht darauf verlassen.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Er war wieder unruhig geworden, ballte die Fäuste, öffnete sie, ballte sie erneut. »Ich kenne Ran. Er tut alles, um seinen Status zu verbessern. Wenn er mich zur Rückkehr gezwungen hätte – oder einen Sieg über mich hätte nachweisen können –, hätte er sein Ziel erreicht. Und was den Auftrag angeht, ich weiß, wovon er spricht … Der wird nicht abgeblasen, der ist ihnen viel zu wichtig.«
»Was ist mit Michelle?«
Besorgt runzelte er die Stirn. »Richtig. Wir sollten zusehen, dass wir vorankommen.« Er stützte sich zum Aufstehen auf den verletzten Arm, um seine Belastbarkeit zu testen. Das Feuer war heruntergebrannt, nur die Kohlen glühten noch. Er trat sie aus. Die verkohlte Entenbrust würdigte er keines Blickes.
»Klar, aber das meinte ich nicht.« Scarlet blieb am Ufer stehen. »Sollten wir nicht wenigstens versuchen, ihn nach ihr auszufragen?«
»Scarlet, hör mir mal zu. Weiß er irgendwas, was uns weiterhelfen würde? Vielleicht. Aber er wird es nicht verraten. Außer wenn du bereit bist, ihn zu foltern, und selbst dann … Du wärst nicht in der Lage, ihm Schlimmeres anzutun als das, was das Rudel mit ihm macht, wenn er auspackt. Wir wissen ja, wo Michelle ist. Sich mit ihm abzugeben ist nichts als Zeitverschwendung.«
»Und wenn wir ihn mitnehmen und zum Tausch anbieten?«, schlug sie vor, während Wolf die Tasche packte.
Wolf lachte. »Ein Tausch? Mit einem Omega?« Er deutete auf Ran. »Der ist doch absolut nichts wert.« Er wurde wieder wütend, aber Scarlet war froh, dass die unkalkulierbare Wildheit aus seinem Blick verschwunden war.
»Aber er kehrt wieder zu ihnen zurück«, sagte sie, »und erzählt ihnen, dass du bei mir bist.«
»Spielt keine Rolle.« Wolf warf die Tasche über die Schulter und hatte für seinen Bruder nur noch einen verächtlichen Blick übrig. »Wir sind vor ihm da.«
22
Die Dunkelheit senkte sich schnell über den Wald. Im Licht eines abnehmenden Mondes rückten die Schatten der Bäume aus dem undurchdringlichen Wald näher an sie heran. Bisher waren sie nur an einer Weiche vorbeigekommen und wortlos weiter nach Norden gelaufen. Scarlet hatte wieder etwas Hoffnung geschöpft – wenigstens war es jetzt nicht mehr ausgeschlossen, dass ein Zug vorbeikam. Doch die Gleise der Schwebebahn blieben stumm. Noch war das Licht ihres Portscreens hell genug, aber bald mussten die Akkus leer sein.
Wolf sah sich nicht mehr alle paar Minuten um. Deswegen vermutete Scarlet, er hatte die ganze Zeit über gewusst, dass Ran ihnen gefolgt war.
Plötzlich blieb Wolf stehen. Scarlets Herz machte einen Satz, denn sie war sicher, dass er wieder Wölfe gehört hatte. »Hier. Von hier aus klappt es.« Er warf einen Blick auf einen dicken Ast, der wie eine Brücke von einem Felsvorsprung über den Bahndamm ragte. »Glaubst du nicht
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