Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
man hörte das Summen der sich öffnenden und schließenden Schranken neben der Zugtrasse. Es war nach Mitternacht, aber diese Stadt stand nie still.
»Glaubst du das?«, fragte sie mit klopfendem Herzen. »Glaubst du, dass sie sie getötet haben?«
Scarlet hatte das Gefühl, mit jeder Sekunde, die er schwieg, schlechter Luft zu bekommen, bis die einzig mögliche Antwort »Ja« lauten musste. Ja, sie war tot. Ja, sie hatten sie ermordet. Diese Ungeheuer hatten sie umgebracht.
Scarlet drückte die Handflächen so fest gegen die ihr gegenüberstehende Kiste, dass diese fast zersplitterte. »Nun sprich es schon aus.«
»Nein«, murmelte er und ließ die Schultern hängen. »Nein, ich glaube nicht, dass sie sie getötet haben. Noch nicht.«
Scarlet fröstelte, aber sie war erleichtert. Sie schlug die Hände vors Gesicht; ihr war schwindlig, so aufgewühlt war sie. »Ein Glück«, flüsterte sie, »danke.«
Sein Ton war hart. »Bedank dich nicht bei mir, weil ich dir die Wahrheit gesagt habe, wenn es eine Gnade gewesen wäre, dich anzulügen.«
»Eine Gnade? Mir zu sagen, dass sie tot ist? Mir das Herz zu brechen?«
»Es wäre meine einzige Chance gewesen, dich zu überzeugen, die Suche nach ihr abzubrechen. Wir wissen das beide. Ich hätte dich anlügen sollen.«
Das Summen der Gleise wurde lauter, als der Zug in den Bahnhof einlief. Man hörte Rufe, Klirren und das Rasseln schwerer Maschinen.
»Es steht dir nicht zu, diese Entscheidung zu fällen«, sagte sie, griff nach dem Portscreen und stellte fest, wo sie waren. Sie hatten es bis nach Paris geschafft. »Ich werde sie finden. Aber du musst nicht mitkommen.«
»Scarlet …«
»Nein, hör mir zu. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen. Deinetwegen bin ich überhaupt so weit gekommen, aber jetzt trennen sich unsere Wege. Du musst mir nur sagen, wo sie ist.«
»Und wenn ich’s nicht tue?«
Wütend steckte Scarlet den Port ein, aber als sich ihre Blicke trafen, sah sie nichts als Verzweiflung in seinen Augen. Er ballte und öffnete die Fäuste, wieder und wieder.
Sie schluckte ihren Ärger hinunter und legte ihm die Hände an die Wangen. Er erschrak, aber er wich nicht zurück. »Die wollen doch meine Informationen, oder etwa nicht?«
Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt.
»Ich biete mich zum Tausch an. Großmutter und du, ihr könnt irgendwohin gehen, wo es sicher ist, und wenn sie mich freilassen, komme ich zu euch. Sie können mich ja nicht für immer festhalten.«
Sie lächelte, aber er blieb unbewegt. Sie strich mit den Daumen über seine Wangen und küsste ihn. Er zog sie augenblicklich ganz fest an sich.
»Es gibt keine Garantie dafür, dass sie dich gehen lassen. Wenn sie mit dir durch sind, können sie dich auch töten. Du opferst dein Leben für ihres.«
»Das Risiko muss ich eingehen.«
Der Zug kam zum Stillstand und senkte sich auf die Gleise.
Wolfs Augen verdunkelten sich. »Ich weiß. Was du tun musst, musst du tun.« Er nahm ihre Hände von seiner Schulter und küsste sie zärtlich auf die Innenseite ihres Handgelenks, dort wo ihr Blut pulsierte. »Und ich auch.«
26
Der unterirdische Bahnsteig war hell erleuchtet und voller Androiden, die hinter Karren standen und darauf warteten, den Güterzug zu entladen. Scarlet folgte Wolf in den Schatten eines anderen Zugs, wo sie warteten, bis ein Androide in der Nähe ihnen den Rücken kehrte, um dann auf die Plattform zwischen den Waggons zu klettern.
Wolf zerrte sie am Handgelenk hinter einen Stapel Kisten. Einen Augenblick später sah Scarlet einen Androiden in den Zug hineinrollen, den sie gerade verlassen hatten. Sein bläuliches Licht fiel aus dem Türspalt.
»Wir rennen los, wenn dieser Zug aus dem Bahnhof fährt«, sagte Wolf und hängte sich den Riemen der Tasche über die Schulter. Keine Sekunde später hob sich der Zug über die Gleise und glitt in den Tunnel hinein.
Scarlet sprang nach vorn in Richtung der Gleise, wurde aber an der Kapuze festgehalten. Sie würgte und schrie auf.
»Was …?«
Er legte ihr einen Finger auf den Mund.
Wütend riss Scarlet sich los, aber dann hörte sie es auch. Das Summen eines näher kommenden Zuges.
Er zischte am Nebengleis vorbei und verschwand so schnell in der Dunkelheit, wie er aufgetaucht war.
Wolf sah sie von der Seite an. »Jetzt können wir rüber.«
Als sie auf den gegenüberliegenden Bahnsteig kletterten, beobachtete sie ein Mann neugierig, wandte sich dann jedoch wieder seinem Port zu.
Mit einem Blick auf ihren Port
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