Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
»Sie hat mir mit Sicherheit alles gesagt, was sie weiß. Ich bin absolut überzeugt, dass sie mir rückhaltlos vertraut hat.«
Scarlet wankte gegen die Marmorbrüstung und musste sich am Sockel der kopflosen Statue festhalten, um nicht auf den Boden zu sinken.
»Bestimmt hast du dein Bestes gegeben«, sagte der Thaumaturge. »Du hast keinen Grund zur Furcht. Ich werde persönlich dafür Sorge tragen, dass deine Anstrengungen gebührend gewürdigt werden.«
»Wer ist Beta Wynn?«, fragte Scarlet mit brüchiger Stimme. »Wie lautete sein Auftrag in Toulouse?« Sie taumelte, sie wollte glauben, dass dies nur ein Albtraum war. Gleich würde sie in Wolfs Armen im Zug aufwachen und alles würde ganz anders weitergehen. Aber sie erwachte nicht. Der Thaumaturge sah sie mit dunklen, mitfühlenden Blicken an.
»Beta Wynn hatte den Auftrag, Ihren Vater auf eine Art und Weise zu ermorden, die keinen Verdacht erregen würde«, teilt er ihr mit, als hätte sie ihn nach der Uhrzeit gefragt. »Ich habe Ihrem Vater eine Chance gegeben. Hätte er auf Madame Benoits Grund und Boden etwas Nützliches gefunden, hätte ich mir eventuell überlegt, ihm das Leben zu schenken und ihn zum Sklaven zu nehmen. Aber er förderte in der vorgesehenen Zeit nichts Brauchbares zu Tage und so sah ich mich gezwungen, ihn zum Schweigen zu bringen. Er wusste zu viel über uns, verstehen Sie, und wir hatten keine Verwendung mehr für ihn. Letztlich haben wir für nutzlose Erdbewohner nur wenig übrig.«
Er verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln und dieser Anblick drehte Scarlet den Magen um – nicht weil es so gemein, sondern weil es so freundlich war. »Sie scheinen krank zu sein, Mademoiselle, und der Ruhe zu bedürfen, bevor Sie Ihre Großmutter sehen können. Rafe, Troya, würdet ihr die junge Dame in den für sie vorgesehenen Raum begleiten?«
Aus den Schatten traten zwei Männer hervor, die Scarlet nur verschwommen wahrnahm. Sie hoben sie an den Ellenbogen hoch, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu fesseln oder ihr Handschellen anzulegen.
Blitzartig fuhr ihr ein Gedanke durch den Kopf, und bevor sie ihn richtig wahrnahm, hatte sie schon in den Hosenbund gegriffen.
Aber Wolfs Hand war vor ihrer da. Als er sie mit dem Unterarm streifte, erstarrte sie und sah ihm mit weit aufgerissenen Augen ins Gesicht. Seine smaragdgrünen Augen waren ausdruckslos, als er ihren Pulli hob und die Pistole herauszog.
Er würde diese Männer töten.
Er würde sie beschützen.
Wolf ließ die Pistole um den Abzug rotieren und hielt sie den Wächtern hin.
In sein strenges Gesicht hatte sich eine Spur von Bedauern eingeschlichen. Scarlet fragte ihn: »Loyaler Soldat vom Orden der Wölfe?«
Er schluckte mit Mühe. »Nein. Lunarischer Spezialagent vom Orden der Wölfe.«
Der Saal begann sich zu drehen.
Lunarisch. Er war aus Luna. Er arbeitete für sie.
Er arbeitete für die Königin.
Scarlet wandte sich von ihm ab und hielt sich mit Mühe auf den Beinen. Sie würde sich nicht wie ein Kind wegschleifen lassen, als sie sie zu einer Treppe zerrten, die in die Untergeschosse der Oper führte. Sie würde ihnen nicht die Freude machen, Widerstand zu leisten.
Hinter sich hörte sie den Thaumaturgen wohlwollend sagen: »Ruh dich bis Sonnenuntergang aus, Alpha Kesley. Du siehst erschöpft aus.«
28
Kai tigerte von der Tür zum Schreibtisch und vom Schreibtisch zur Tür. Zwei Tage waren vergangen, seit Levana ihm das Ultimatum gestellt hatte: Entweder er fand das Cyborg-Mädchen oder sie, Levana, würde angreifen.
Die Zeit lief ihm davon; Kais Angst steigerte sich mit jeder Minute. Er hatte länger als achtundvierzig Stunden kein Auge mehr zugetan. Außer für die beiden Pressekonferenzen, auf denen er wieder nichts Neues zu berichten hatte, hatte er sein Arbeitszimmer nicht verlassen.
Doch es gab keine Spur von Linh Cinder.
Oder von Dr. Erland.
Als ob sie sich in Luft aufgelöst hätten.
»Bah!« Er zerrte an seinen Haaren, bis seine Kopfhaut zu brennen begann. »Lunarier!«
Der kleine Lautsprecher auf seinem Schreibtisch summte: »Die königliche Androidin Nainsi bittet um Einlass.«
Seufzend ließ Kai die Hände sinken. Nainsi hatte sich in den letzten Tagen rührend um ihn gekümmert, ihm literweise Tee serviert und kommentarlos wieder abgeräumt, wenn er kalt geworden war. Sie hatte ihn gedrängt, etwas zu essen, ihn rechtzeitig zu den Pressekonferenzen geschickt und daran erinnert, wenigstens die Tele des australischen Generalgouverneurs zu
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